Blech is beautiful. Meilenstein der Schwarzwälder Uhrenindustrie

 

Amerikaneruhr Stuttgardia, Junghans, Schramberg, 1881-82, Inv. 2021-019Um 1905 arbeiteten bei den Junghans Uhrenfabriken 7000 Angestellte. Sie bauten jährlich über fünf Millionen Uhren. Damit war das Unternehmen mit Sitz in Schramberg die größte Uhrenfabrik der Welt. Wann aber begann der Aufstieg von Junghans und was waren die Erfolgsfaktoren? Einen frühen Meilenstein der Entwicklung konnte das Museum nun erwerben.

Die Uhr

Stuttgardia, Junghans, Schramberg, 1881-82, Inv. 2021-019 (Zum Vergrößern klicken)

Sie sieht eigentlich ganz unscheinbar aus, die Tischuhr aus den frühen 1880er Jahren. Von Außen ein schlichtes Gehäuse, und im Innern ein verhältnismäßig kleines Uhrwerk. Aber diese Uhr war ihrer Zeit weit voraus. Sie unterschied sich radikal von dem, was die meisten anderen Uhrenhersteller im Schwarzwald zu dieser Zeit anboten.

Das Uhrwerk

Amerikaner-Werk, Inv. 2021-019 (Zum Vergrößern Klicken)

Im Innern tickte ein sogenanntes „Amerikaner-Werk“. Das Design orientierte sich nicht mehr an den traditionellen Produkten des Handwerks, sondern war konsequent auf die industrielle Produktion zugeschnitten. Vorbild waren die ersten Uhrenfabriken der Vereinigten Staaten. Die Rohlinge der Räder und die Platinen wurden nicht mehr wie bisher gegossen und anschließend in mehreren Schritten weiterverarbeitet. Vielmehr wurden die meisten Einzelteile aus gewalztem Messing auf Spezialmaschinen ausgestanzt. Das sparte Arbeitskraft und Material. Auch die Montage dieser „Schablonen-Uhren“ ging deutlich schneller.

Das Gehäuse

In den 1870er Jahren hatten auch einige andere Schwarzwälder Uhrenfirmen begonnen, die amerikanische Produktionsweise einzuführen. Doch bei der Industrialisierung der Gehäuseherstellung hatte Junghans einen deutlichen Vorsprung. Sie war die erste Firma, die statt Holzgehäusen in großem Stil solche aus Metall einführte. Der entscheidende Vorteil bei diesem Metallwecker: Der Gehäusekörper bestand nur noch aus einem Stück. Ein runder Blechzuschnitt wurde dazu unter hohem Druck „tiefgezogen“, das heißt in die gewünschte Form gepresst. Einfacher und damit billiger ging es nicht! Auf der Vorderseite wurde dann nur noch das Zifferblatt, auf der Rückseite ein Deckel eingesetzt.

Früher Blechwecker mit Firmenzeichen Fünfzackstern, Junghans, um 1890, Inv. 2010-021 (Zum Vergrößern Klicken)

Nach dem gleichen Prinzip wurden auch die bekannten Blechwecker hergestellt, die den Aufstieg von Junghans vom mittelständischen Unternehmen 1880 zum Weltmarktführer Anfang des 20. Jahrhunderts begleiteten. Durch die optimale Anpassung an die Massenproduktion waren die Uhren unschlagbar günstig und dabei zuverlässig. Insbesondere die Blechwecker mit dem typischen Gehäuese und dem Amerikaner-Uhrwerk „W10″ sollten Industriegeschichte schreiben. Bis 1930 wurden einige 100 Millionen Stück gebaut. Er gilt damit als der „VW-Käfer” unter den Uhren.

Zur Datierung

Uhren im industriellen Blechgehäuse, ab 1881 von Junghans angeboten (aus einem Katalog)

Im Junghans-Katalog tauchten Uhren mit Blechgehäusen erstmals 1881 auf. Das Problem dabei: Bislang konnte keine so frühe Uhr im Blechgehäuse nachgewiesen werden. Denn die Uhrwerke waren noch nicht von Junghans bezeichnet. Erst 1888 registrierte die Uhrenfabrik das Markenzeichen mit J in einem Stern mit fünf Zacken. Ab 1892 wies der Stern dann acht Zacken auf.

Die Lücke von mehreren Jahren zwischen der ersten Erwähnung von Uhren im Blechgehäuse und dem Prägestempel mit J im Stern kann nun durch die neuerworbene Tischuhr geschlossen werden. Zwar ist auch das enthaltene Uhrwerk nicht bezeichnet, doch befindet sich auf der Rückseite ein aufschlussreicher Aufkleber, der eine Datierung anhand der Garantiezeit zulässt: „Für gutes Gehen der Uhr garantieren bis zum 1. November 1883 […].“

Rückdeckel mit dem Ablaufdatum der Garantie: 1. November 1883 (Zum Vergrößern Klicken)

Im Katalog von 1878 hatte Junghans eine Garantiezeit von einem Jahr genannt, so dass für diese Uhr – bei entsprechender Garantiedauer – eine Entstehung spätestens im Herbst 1882 sicher ist. Früher als 1881 kann sie nicht entstanden sein, denn dort taucht sie erstmals in einem Verkaufskatalog auf, direkt neben dem Blechwecker. Sie ist damit eines der frühesten Zeugnisse für die entscheidende Vereinfachung der Gehäuseherstellung, die den Aufstieg von Junghans erst möglich machte.

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