Sommerzeit in Krieg und Frieden

Wussten Sie, dass es erst einen Krieg brauchte, um die Zeit umzustellen? Und dass unsere heutige Sommerzeit ein Erfolg auf dem Weg zur europäischen Einigung ist? Erfahren Sie heute die wahren Gründe, die zur mehrfachen Einführung und Abschaffung der Sommerzeit in Deutschland führten.

Eine Idee setzt sich im Krieg durch

William Willett gilt als Erfinder der Sommerzeit.

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hatte der einflussreiche Londoner Bauunternehmer William Willett die Sommerzeit zu seiner Herzensangelegenheit gemacht. Er erreichte es schließlich, dass sich sogar das Parlament mit der Zeitumstellung beschäftigte. Doch trotz mehrerer Abstimmungen entschied sich immer nur eine Minderheit für die Sommerzeit.

In Deutschland fand Willett beim Schokoladenhersteller Sarotti Unterstützung. Aber auch die „Sarotti Sommerzeit-Zentrale“ bemühte sich vergeblich, die Politik für die Zeitumstellung zu begeistern.

Den Schlüssel zum Erfolg fand schließlich Hermann Rese, ein Ziegeleibesitzer und Großkaufmann. Rese erkannte 1915 die Chance, der Sommerzeit unter den besonderen Bedingungen des Krieges zum Durchbruch zu verhelfen. Im Krieg, so Rese, benötige man keine demokratische Mehrheit mehr. Es herrsche schließlich Ausnahmezustand. Deshalb könne die Regierung die Zeitumstellung einfach per Verordnung eingeführen.

Hoffnung für den Schützengraben und die Heimatfront. Postkarte zur Einführung der Sommerzeit 1916

Diese Ansicht machten sich Deutschland und Österreich-Ungarn zu eigen. Sie überraschten die Kriegsgegner im Westen mit der Einführung der Sommerzeit zum 1. Mai 1916.

Zumindest für die Propaganda war das ein beachtlicher Erfolg. Denn durch die Zeitumstellung hatte Deutschland gegenüber England und Frankreich eine Stunde „gewonnen“. Aber die Hoffnung, mit der Sommerzeit Energie einzusparen, erfüllte sich schon damals nicht. Auch die Bevölkerung mochte diese Zwangsmaßnahme nicht sonderlich. Deshalb schaffte die erste Regierung der Weimarer Republik die unbeliebte Zeitumstellung im ersten Nachkriegsjahr wieder ab.

“Stärkung der Wehr- und Volkskraft”

Im zweiten Weltkrieg 1940 wurde die Sommerzeit erneut eingeführt – aber mit einer ganz anderen Begründung. Durch die Ausplünderung der besetzten Gebiete war Kohle in Hülle und Fülle vorhanden. Energie musste einstweilen keine gespart werden. Vielmehr sollte die Zeitumstellung nun der Gesundheitsvorsorge dienen. Dank Sommerzeit könne die Bevölkerung an den lauen Sommerabenden länger als sonst an der frischen Luft bleiben.

Mangelwirtschaft und Zeitumstellung. Sonnenuhr mit zweiter Skala für die Sommerzeit, Rüter, Berlin, 1946-1947

Nach der Befreiung Deutschlands hielten die Alliierten an der Zeitumstellung fest. 1947 führten sie sogar eine doppelte Sommerzeit ein. Doch zwei Stunden Zeitumstellung waren für die ausgemergelte und erschöpfte Bevölkerung zu viel. Massive Proteste führten dazu, dass der Versuch nach wenigen Wochen abgebrochen wurde. Die Zeitumstellung hatte ihr gesamtes Kapital verspielt. Kein Wunder, dass 1949 die beiden deutschen Staaten die Sommerzeit nicht weiterführten.

Europa wächst zusammen, dank Sommerzeit

1973 wurde Israel im Jom-Kippur-Krieg von Ägypten und Syrien angegriffen. Als sich die meisten westlichen Staaten mit Israel solidarisierten, drosselten wichtige erdölproduzierende Länder auf der arabischen Halbinsel die Fördermenge. Durch das knappe Angebot verteuerte sich das Öl empfindlich.

In dieser Situation erinnerte sich Deutschland an die Sommerzeit, mit der angeblich Energie eingespart werden könne. Die Bundesregierung gab ein Gutachten in Auftrag, das Anfang 1974 feststellte: Die Auswirkungen der Zeitumstellung auf den Energieverbrauch seien denkbar gering. Sie stünden in keinem vernünftigen Verhältnis zum Aufwand für die Einführung der Sommerzeit.

Gerät zur Erzeugung des Funkuhrcodes aus dem Sender Mainflingen, ca. 1972. Die Entscheidung für die Zeitumstellung überraschte auch die obersten Zeitwächter. Deshalb fügten Sie erst später einen Schalter für die Sommerzeit ein (Mitte unten).

Anders als Deutschland hatte sich Frankreich bereits 1976 für die Sommerzeit entschieden. Nun stellten neben Frankreich auch Irland, Großbritannien und Italien die Uhren um. Außerdem planten Belgien, Luxemburg und die Niederlande für 1977 die Einführung der Sommerzeit. Andere Länder jedoch wollten einstweilen warten.

Im Alltag wurde es zunehmend schwieriger zu entscheiden, welche Zeit in welchem europäischen Land galt. Denn viele Staaten hatten ganz unterschiedliche Anfangs- und Endtermine für die Sommerzeit. Der Spiegel sprach angesichts dieses Durcheinanders von „Europas Zeitsalat“.

Diese mißliche Lage rief die Europäische Gemeinschaft (kurz: EG) auf den Plan, den Vorgänger der Europäischen Union. Die EG hatte sich auf die Fahnen geschrieben, die Spannungen zwischen den Einzelstaaten zu beseitigen, die mit zu den beiden Weltkriegen geführt hatten.

Um den Wohlstand in ganz Europa zu fördern, hatte die EG einen gemeinsamen Binnenmarkt geschaffen. Doch die vielen nationalen Zeitregelungen ließen negative Auswirkungen auf den Verkehr, das Nachrichtenwesen und den Handel befürchten. Um dem entgegenzusteuern, schlug die EG vor, zunächst einmal für die Jahre 1977 bis 1979 die Sommerzeitregelungen zu vereinheitlichen. Alle Länder mit Sommerzeit stimmten einem gemeinsamen Termin für den Start und das Ende der Zeitumstellung zu – bis auf Großbritannien, das an seiner althergebrachten Regelung festhielt.

Mit Rücksicht auf die Nachbarn wollte nun auch die Bundesrepublik die Sommerzeit einführen. Aber die Regierung zögerte, da Deutschland geteilt war. Schließlich machte die Deutsche Demokratische Republik keine Anstalten, ebenfalls die Uhren umzustellen. Sollte der Westen die Sommerzeit einführen und der Osten nicht, so würden im geteilten Berlin zwei unterschiedliche Zeiten gelten. Das wollte die Bundesrepublik auf keinen Fall riskieren. So beinhaltete das Zeitgesetz von 1978 zwar eine Regelung zur Sommerzeit. Eingeführt wurde sie aber damals noch nicht. Vielmehr wurde die Bundesregierung ermächtigt, eine Verordnung zu erlassen, damit die Zeitumstellung in Kraft treten könne, sobald sich auch die DDR für die Sommerzeit entscheiden würde.

Überraschenderweise kündigte die Deutsche Demokratische Republik Ende 1979 an, im kommenden Frühjahr die Uhren umzustellen. Nun war der Zeitpunkt gekommen, dass auch die Bundesrepublik mit der Sommerzeit starten konnte. Auch andere europäische Länder wie Österreich und Dänemark, die wirtschaftlich stark mit Deutschland verbunden waren und deshalb ihre Entscheidung von dem großen Nachbarn abhängig gemacht hatten, führten nun ebenfalls die Sommerzeit ein. Die Schweiz folgte ein Jahr später.

In allen zentraleuropäischen Ländern galt nun eine einheitliche Zeit – lange, bevor auch die Grenzkontrollen wegfielen und eine eigene europäische Währung eingeführt wurde. Die Sommerzeit ist also ein wichtiger Erfolg auf dem Weg zum Friedensprojekt der europäischen Einigung. Ist dies nicht ein wichtiger Grund, um an der Zeitumstellung festzuhalten?

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