Wer hat die Sommerzeit erfunden?

Das Deutsche Uhrenmuseum sammelt nicht nur Uhren, sondern alles rund um die Geschichte der Zeitbestimmung. Dazu gehören auch Schriftzeugnisse, die spannende Einblicke in lange vergangene Zeiten bieten. Kürzlich kam eine seltene Broschüre in unsere Sammlung, aus der einer der “geistigen Väter” der Zeitumstellung spricht. Bei dem schmalen Band handelt es sich um nicht weniger als das “Manifest der Sommerzeit”.

William Willett, Ausschnitt aus einer Photographie um 1900.

Immer wieder wird ja der berühmte amerikanische Gründervater und Erfinder Benjamin Franklin auch als geistiger Vater der Sommerzeit bezeichnet – aber um diesen modernen Mythos geht es hier gar nicht, denn Franklin hat die Sommerzeit nicht erfunden. Das jährliche Zeigerrücken an allen Uhren geht vielmehr auf einen englischen Unternehmer zurück, der im frühen 20. Jahrhundert vehement für die Einführung der Sommerzeit eintrat: William Willett.

Schon einige Jahre vor Willetts Engagement versuchte der neuseeländische Postbeamte George Vernon Hudson eine Debatte über die Sommerzeit in Gang zu bringen. Aber die wissenschaftliche Öffentlichkeit, die er im Jahr 1896 auf seine Seite ziehen wollte, lehnte seine Vorschläge rundheraus ab und die Diskussion schlief schnell wieder ein.

William Willett dagegen setzte sich nicht nur mit großem Eifer, sondern auch mit umfangreichen finanziellen und politischen Mitteln für das Projekt “Sommerzeit” ein. Als erfolgreicher Bauunternehmer aus London war er nicht nur wohlhabend, sondern auch sehr gut vernetzt. Zwischen 1908 und 1914 konnte er mehrfach Abgeordnete des Parlaments als Fürsprecher gewinnen, die eine sommerliche Umstellung der Uhren auf die politische Agenda brachten. Die Broschüre, die sich nun in unserer Sammlung befindet, wartet bereits mit einer drei Seiten langen Liste von Parlamentsmitgliedern auf, die bis März 1908 ihre Unterstützung zugesagt hätten.

Die erste der drei Seiten mit Namen von Abgeordneten. William Willett: The Waste of Daylight, 1908, S.13.

Ein Pamphlet mit missionarischem Eifer

Willett musste so vollständig von dieser Idee überzeugt sein, dass er weder Kosten noch Mühen scheute, um seine Mitmenschen von all den angeblichen Vorteilen zu überzeugen. Er ließ seine Meinung drucken, verteilen und sogar in andere Sprachen übersetzen, um eine möglichst große öffentliche Aufmerksamkeit auf sein Vorhaben zu ziehen. Während die englische Version “The Waste of Daylight” im Titel noch die scheinbare Verschwendung anprangert, wirkt die deutsche Übersetzung “Die Verwertung des Tageslichtes” schon etwas konstruktiver.

Im Gegensatz zur heute praktizierten Zeitumstellung wollte Willett unbedingt einen schrittweisen Übergang zur Sommerzeit, indem jeweils im April und im September an vier Sonntagen die Uhr um 20 Minuten verstellt würde.

Gründe für eine schrittweise Zeitumstellung. William Willett: The Waste of Daylight, 1908, S.10.

Er zählte außerdem eine ganze Reihe von Vorteilen auf, die er durch das regelmäßige, allgemeine Zeigerrücken verwirklichen wollte: Mehr nutzbares Licht in der Freizeit, mehr Bewegung an der frischen Luft an Sommerabenden, eine gesündere Lebensweise, die Einsparung von Energie, geringere Luftverschmutzung, ja sogar ein Gewinn an Lebenszeit sollte möglich sein.

William Willet: The Waste of Daylight, 1908, S.5.
William Willet: The Waste of Daylight, 1908, S.8.

 

 

 

 

 

 

 

 

Doch alle Mühen waren zunächst vergebens: Zu seinen Lebzeiten wurde die staatliche Sommerzeit nicht mehr eingeführt. Ausgerechnet 1916, im Jahr nach Willetts Tod und mitten im Ersten Weltkrieg, führte dann das Deutsche Reich als erstes Land die Sommerzeit ein.

 

Ein Kommentar zu „Wer hat die Sommerzeit erfunden?

Kommentar verfassen