Erfand George Vernon Hudson vor 125 Jahren die Sommerzeit?

Bei Erfindungen hilft ein Vaterschaftstest nicht weiter. Wenn eine Idee reif war, auf die Welt zu kommen, waren meist mehrere Männer beteiligt. So auch bei der Sommerzeit. Heute berichten wir über den weithin unbekannten Insektenforscher George Vernon Hudson. 1896 veröffentlichte er die erste Broschüre zur Zeitumstellung.

Eine denkwürdige Veranstaltung in Neuseeland

1895 tagte in Wellington der neuseeländische Ableger der Royal Society, der berühmten englischen Gesellschaft der Naturforscher. Auf der Tagesordnung stand ein Vortrag des Postbeamten George Vernon Hudson (1867-1946). In seiner Freizeit sammelte er Insekten und betrieb astronomische Studien. Hudson schlug vor, am Frühlings- und Herbstbeginn die Uhrzeit so zu verändern, dass die Arbeitsstunden mit dem Tageslicht zusammenfallen.

Bericht über das Treffen in Wellington 1895 (zum Vergrößern klicken)

Doch seine Idee fiel bei der Wellington Philosophical Society auf keinen fruchtbaren Boden. Die Anwesenden äußerten sich teils mit offenem Spott, teils vernichtend über seinen Vorschlag. Die bloße Umbenennung der Stunden könne an der Zeit selbst nichts verändern. Warum also solle man eine Praxis verlassen, die seit Jahrtausenden bestehe und die sich bewährt habe? Aber vielleicht, so ein anderer Zuhörer mit Blick auf die Unpünktlichkeit Heranwachsender, wäre es eine gute Idee, wenn der Plan auf die jungen Leute angewendet werden könne? Ein gewisser R. Coupland Harding schließlich verdammte Hudsons Vorschläge als vollkommen unwissenschaftlich und undurchführbar.

Vor 125 Jahren: Hudsons Veröffentlichung

George Vernon Hudson, 1907

Trotz seines Misserfolgs gab sich Hudson nicht geschlagen. Im Folgejahr 1896 ließ er seine Ausführungen zur saisonalen Zeitverschiebung in einer Auflage von 1000 Exemplaren drucken und verteilen. Die Kernidee: Zu Frühlingsbeginn sollten die Uhren um Mitternacht auf 2 Uhr vorgestellt werden. Ein halbes Jahr später, zu Herbstanfang um 2 Uhr, sollten die Zeiger wieder auf Mitternacht zurückgedreht werden.

Seine Argumente für die Sommerzeit klingen auch für heutige Ohren sehr vertraut: Durch die Zeitumstellung würde es abends länger hell bleiben. Die gewonnene Freizeit könnte genutzt werden für Sport, Gartenarbeit oder jede andere gesundheitsfördernde Beschäftigung an der frischen Luft. Als weiteren Vorteil der Sommerzeit sah Hudson die Einsparung an künstlichem Licht.

Andere ernten die Lorbeeren

G. V. Hudson in späteren Jahren

1895 war die Gesellschaft noch nicht bereit, die Idee der Zeitumstellung ernst zu nehmen. Hudson war vergessen, bevor er überhaupt bekannt werden konnte. Erst ein Jahrzehnt später erfand der Brite William Willett die Sommerzeit noch einmal und machte sie international populär. 1916 schließlich begannen Deutschland und Österreich-Ungarn als erste Staaten mit der saisonalen Zeitumstellung. Wenige Wochen später folgten die Alliierten und dann auch die meisten anderen europäischen Länder.

Die Diskussion hält an

Bis heute spaltet die Zeitumstellung die Gemüter. Es scheint fast so, als wäre die Sommerzeit die zweitwichtigste Nebensache der Welt, über die manchmal viel zu ernsthaft gestritten wird. Womit wir fast wieder beim einleitend erwähnten Vaterschaftstest wären…

 

Zum Weiterlesen:

Johannes Graf, Claire Hölig: Wer hat an der Uhr gedreht? Die Geschichte der Sommerzeit, Furtwangen: Deutsches Uhrenmuseum 2016.

George Vernon Hudson: On Seasonal Time-adjustment in Countries South of Lat. 30°, in: Transactions and Proceedings of the New Zealand Institute, Bd. 28, 1895, S. 734.

George Vernon Hudson: On Seasonal Time. Read before the Wellington Society, 8th October, 1898, in: Transactions and Proceedings of the New Zealand Institute, Bd. 31, 1898, S. 577-582.

Ein Kommentar zu „Erfand George Vernon Hudson vor 125 Jahren die Sommerzeit?

Kommentar verfassen