Matthäus Hipp – Anfangsjahre eines großen Erfinders

Uhrensammler geraten bei ihr ins Schwärmen: Eine Chronometerhemmung mit konstanter Kraft! Normalerweise ist dieses extrem aufwändige Herz einer Uhr tief im Innern verborgen – hier jedoch deutlich auf der Vorderseite zu sehen. Wer war der Hersteller Matthäus Hipp und was hat er damit bezweckt?

Wer war Matthäus Hipp?

Geboren wurde Hipp 1813 als Sohn eines Müllers und Bäckers in Blaubeuren, wo er auch in die Lehre als Uhrmacher ging. Nach seiner Wanderzeit ließ er sich 1840 mit einer eigenen Werkstatt in Reutlingen wieder. Aus dieser Zeit stammt die Uhr, die auf dem Ziffernring den Namen des Erbauers samt Wohnort trägt.

1852 übersiedelte er in die Schweiz, um dort das staatliche Telegraphennetz aufzubauen, bevor er sich mit einer elektrotechnischen Fabrik in Neuchatel selbständig machte. Wegen zahlreicher Erfindungen im Bereich der Uhrmacherei zählt Hipp heute zu den bedeutendsten Uhrmachern des 19. Jahrhunderts. Unter anderem hat er mit dem Chronoskop den ersten zuverlässigen Kurzzeitmesser für 1000stel Sekungen gebaut, und ebenso legendär sind seine Verdienste um die Entwicklung erster funktionssicherer elektrischer Uhren und Uhrenanlagen.

 

Matthäus Hipp in Reutlingen

Schon als junger Uhrmacher hatte sich Hipp in kurzer Zeit einen guten Ruf weit über Reutlingen hinaus erwerben können. Seine Verdienste ragen dabei deutlich über das engere Fachgebiet hinaus. Er war nicht nur ein geschickter Handwerker, sondern er entwickelte auch eigenständige Konstruktionen für ganz unterschiedliche Problemstellungen der Feinmechanik. Helmuth Kahlert, der frühere wissenschaftliche Berater des Deutschen Uhrenmuseums, bezeichnete Hipp deshalb als „Ingenieur und Handwerker in einer Person“.

Hipp sprach gerne über seine neuartigen Geräte – ohne die bei manchen Erfindern übliche Geheimtuerei. Bemerkenswert: Seine Neuentwicklungen konnte er auch einem breiten Publikum verständlich erklären. Es verwundert deshalb nicht, dass er Wissenschaftliche Instrumente für das Observatorium und die Lehrmittelsammlung der Tübinger Universität anfertigen durfte. Denn schließlich war bei den Modellen und Instrumenten gleichermaßen gute Konstruktion und präzise Fertigung gepaart mit einem ausgeprägten Gespür für Didaktik gefragt.

Für welchen Zweck hat Hipp diese Uhr angefertigt?

Offensichtlich handelt es sich bei der  Uhr mit sichtbarer Chronometerhemmung um ein Schaumodell. Denn durch die Verlagerung der Hemmung an die Außenseite ist die Funktion und Eigenart dieser speziellen Hemmung gut zu erkennen – eine wichtige Voraussetzung, um das Zusammenspiel der Einzelteile verstehen zu können.

Dass das Uhrwerk offensichtlich in didaktischer Hinsicht gefertigt wurde, legt zudem ein zweites genauso fein gearbeites Uhrwerk nahe, das das Museum zusammen mit dem ersten erwerben konnte. Auch dieses Uhrwerk ist mit dem Namen Matthäus Hipp und mit dem Entstehungsort Reutlingen signiert. Die Hemmung ist ebenfalls gut sichtbar an der Zifferblattseite angebracht; hier handelt es sich allerdings um die nicht ganz so aufwändig herzustellende Duplex-Hemmung.

Die Parallelen zwischen beiden Uhren werden noch dadurch verstärkt, dass beide Uhrwerke auf einem Werkhalter mit Sockel montiert sind. Durch die Glasdome wird das Pärchen gut vor Staub und anderem Schmutz geschützt. Leider ist unklar, ob die Werke ursprünglich so präsentiert wurden, denn Sockel und Glasdome sind offensichtlich neueren Datums.

Für welchen Auftraggeber hat Hipp sie gebaut?

Auch auf diese Frage gibt es bislang keine zufriedenstellende Antwort, sondern lediglich Vermutungen.

  • War es die Universität Tübingen, die sie für das Physikalische Kabinett in Auftrag gab?
  • Bezieht sich das Uhrwerk mit Chronometerhemmung auf Hipps verschollenes Patent für solch eine Hemmung, das der Erfinder 1843 verkaufen wollte?
  • Oder stehen die Uhren in Zusammenhang mit seinem Antrag an die Württembergische Regierung, eine größere Uhrenwerkstätte zu finanzieren, die für die hiesigen Uhrmacher rationell hochwertige Bestandteile herstellen sollte?
  • Vielleicht waren die Uhrwerke gar Empfehlungsstücke für Hipps Bewerbung 1849 auf die Stelle des Lehrers für Großuhrmacherei an der neu zu gründenden Großherzoglich Badischen Uhrenmacherschule in Furtwangen?

Leider sind die meisten Akten des Stadtarchivs Reutlingen im Zweiten Weltkrieg verbrannt, und auch die erhalten gebliebenen Quellen zu Hipp in überregionalen Archiven sind schon mehrfach durchforstet worden, so dass es eines Zufalls bedarf, um die Frage nach dem Auftraggeber der Uhr doch noch zu beantworten.

Trotz vieler offener Fragen sind die beiden Uhren für das Museum eine sehr bedeutende Neuerwerbung. Sie zeigen, dass Hipp bereits in seiner Reutlinger Zeit ein begabter Konstrukteur und geschickter Handwerker war. Sie erweitern damit unser Bild dieses bedeutenden Uhrmachers um neue Facetten. Denn bislang war nur eine weitere Hipp-Uhr aus Reutlingen bekannt gewesen, die sich im Londoner Museum „The Clockworks“ befindet. Vielen Dank an den Förderverein für die Unterstützung dieses sensationellen Ankaufs!

 

Zum Weiterlesen:

Die meisten Informationen verdanken sich dem grundlegenden Aufsatz von Helmuth Kahlert: Matthäus Hipp in Reutlingen. Entwicklungsjahre eines großen Erfinders (1813-1893). Zuerst in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, Bd. 48, 1989, S. 291-303.

Unser Tipp: Dieser Aufsatz ist mit vielen anderen lesenswerten Artikeln Helmuth Kahlerts in dem Sammelband: „Dem Uhrenfreund zuliebe. Verstreute Beiträge zur Geschichte der Uhr“ enthalten. Sie können dieses Buch exklusiv hier auf der Website unseres Museumsshops bestellen.

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