Schwarzwald, um 1730. Am mollig warmen Kachelofen überlegt ein Bauer, wie er den endlos langen, klirrend kalten Winter überstehen kann. Mit seinem Schnitzmesser könnte er etwas schaffen, was das Herz erfreut und ganzjährig an den Frühling erinnert: die Kuckucksuhr! – Eine schöne Geschichte, aber leider frei erfunden. Lesen Sie, wie es wirklich war.
Seit zweihundert Jahren geistern zwei gegensätzliche Erzählungen über den sagenhaften Ursprung der Kuckucksuhr durch den Schwarzwald. Markus Fidelis Jäck behauptete 1810, dass Franz Ketterer aus Schönwald zu Beginn der 1730er Jahre Kuckucksuhren gefertigt haben soll. Franz Steyrer hingegen erzählte 1796 in seiner „Geschichte der Schwarzwälder Uhrmacherkunst“ eine andere Version: Zwei Uhrenträger hätten 1742 bei einem böhmischen Händler Kuckucksuhren erworben. Nach diesen Vorbildern hätten Michael Dilger in Neukirch und Matthäus Hummel in Glashütte bei Waldau mit dem Bau von Kuckucksuhren begonnen.
Leider geben weder Jäck noch Steyrer Belege für ihre Behauptungen an. Dummerweise haben auch die intensiven Bemühungen der Historiker keine klaren Nachweise für die eine oder andere Version zu Tage gebracht. Deshalb stehen sich die Anhänger beider Erzählungen unversöhnlich gegenüber. Der Streit darüber, wer die erste Kuckucksuhr im Schwarzwald gebaut hat, gehört inzwischen fest zur Folklore des Schwarzwaldes wie der Bollenhut oder die Kirschtorte.
Für den kleinen Luftkurort Schönwald steht fest: Hier stand die Wiege der Kuckucksuhr. Ein Denkmal erinnert an Franz Anton Ketterer, den angeblichen Erfinder der Kuckucksuhr. Doch in Wahrheit nennt Steyrer vor zweihundert Jahren seinen Sohn Franz Ketterer, und der war zur besagten Zeit der „Erfindung“ noch im Kindergartenalter.
Im Gegensatz zum Ursprung der Schwarzwälder Kuckucksuhr herrscht Einigkeit darüber, dass die Uhr mit dem Vogelruf schnell im Schwarzwald heimisch wurde. Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts bauten einige der vielen kleinen Uhrenwerkstätten zwischen Neustadt und St. Georgen Kuckucksuhren aus Holz. Nach einer Reise durch den Südwesten Deutschlands 1762 bemerkte Graf Giuseppe Garampi, seines Zeichens Präfekt des Vatikanischen Archivs: „Die Holzuhren werden in dieser Gegend in sehr großen Mengen hergestellt, und wenn sie auch schon früher nicht ganz unbekannt waren, so hat man sie doch jetzt vervollkommnet und begonnen, mit dem Ruf des Kuckucks auszustatten.“
Hintergrund dieser Entwicklung ist der beispiellose Erfolg der Holzuhrmacherei im Schwarzwald. Den Uhrmachern gelang es zwischen etwa 1750 und 1780, die Herstellung entscheidend zu vereinfachen. Auf diese Weise blieben die Schwarzwälder Produkte bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts die billigsten Wanduhren weltweit.
(Hölzerner) Beginn einer Erfolgsgeschichte
Der sagenhafte Verkaufserfolg der preisgünstigen Holzuhr färbte zunächst nicht auf die Kuckucksuhr ab. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts blieb die Uhr mit dem Vogelruf ein Nischenprodukt. Sie wurde nur von wenigen spezialisierten Uhrmacherwerkstätten gefertigt, und die Kuckucksuhr war nur gegen einen hohen Aufpreis zu haben. Geht man von der Menge der erhalten gebliebenen Stücke aus der Frühzeit der Kuckucksuhr aus, so dürfte nur ein kleiner einstelliger Prozentsatz der Schwarzwälder Uhren mit einem Kuckucksruf ausgestattet worden sein. Vor allem Kuckucksuhren bis etwa 1780, bei denen alle Teile des Werks einschließlich der Zahnräder aus Holz gebaut wurden, sind heute extrem selten. Insgesamt dürften nicht mehr als ein bis zwei Dutzend solcher ganzhölzerner Kuckucksuhren überliefert sein.
Trotz der geringen Zahl sollte man die Wirkung der Kuckucksuhren in der Öffentlichkeit nicht unterschätzen. Der kleine Vogel mit dem charakteristischen Ruf hat die Zeitgenossen so beeindruckt, dass die einfache Holzuhr aus dem Schwarzwald häufig mit der Kuckucksuhr gleichgesetzt wurde. 1796 mokiert sich der Schriftsteller Friedrich Nicolai über einen Reisebericht, der behauptet: „Von den Kuckucksuhren gehen Schiffsladungen nach St. Petersburg.“ Die preiswerten Holzuhren wurden hier wohl mit Kuckucksuhren gleichgesetzt. Aber auch wenn die Schwarzwalduhren in riesigen Stückzahlen gefertigt würden, so sei es wohl reichlich übertrieben, von Schiffsladungen zu sprechen: „Höchst ungereimt! Wußte der Mann wohl, oder überlegte er, wieviel zu einer Schiffsladung hölzerner Uhren gehört. Und sind denn alle hölzerne Uhren Kukucksuhren?“
Die Gleichsetzung von Kuckucksuhren mit den preiswerten hölzernen Wanduhren blieb kein Einzelfall. In der französischen Sprache ist sie sogar sprichwörtlich geworden. Der Ausdruck für billige Uhren made in Germany ist „Coucou“, selbst wenn diese Uhren einen Kuckuck nie auch nur aus der Ferne gesehen hatten.
Wie die Geschichte der Schwarzwälder Kuckucksuhr im 19. Jahrhundert weitergeht, lesen Sie hier auf diesem Blog.
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3 Kommentare zu „Die ersten Schwarzwälder Kuckucksuhren (Teil 1)“