Schlendrian und Schlafsucht

„Brigitte Woman“-Kolumnistin Julia Karnick bereut die Wahl ihres Weckers: „Mein Wecker zeigt, wohin zu viel Freiheit führt: Schlendrian und Schlafsucht!“ Wie das?

Es gibt Menschen, bei denen klingelt der Wecker, dann stehen sie auf. Und es gibt mich. Ich liebe mein Bett, Abend für Abend seufze ich ins Kissen: „Danke, dass es dich gibt!“ Morgen für Morgen: großer Trennungsschmerz. Es fällt mir schwer, es früher als zwingend nötig zu verlassen.

Lange zwang mich das Muttersein, unter der Woche um 6.15 Uhr auzustehen: Kinder wecken, Brote schmieren. Dann entdeckte ich: Die Kinder sind gar keine Kinder mehr. Die stehen auch alleine auf und schmieren selbst! Der einzige Grund dafür, sie weiter vor der Schule zu umsorgen: Mutterliebe. Ein gewichtiger, kein zwingender Grund. Und dann ist da noch mein Wecker, der trägt die Hauptschuld daran, dass meine Aufsteh-Schwäche sich zur Quasi-Lähmung gemausert hat.

Werbepostkarte der Hamburg-Amerikanischen Uhrenfabrik, 1920er Jahre

Mein Wecker nämlich hat A) keine normale Schlummer-Taste, mit der man den Alarm für fünf oder zehn Minuten unterbricht. Es ist ein Wecker mit Luxus-Schlummerfunktion: Drückt man einmal auf die Schlummertaste, geht er nach zehn Minuten wieder an. Drückt man sie zweimal, macht der Wecker 20 Minuten Pause. Dreimal: 30 Minuten Ruhe und so weiter. So kann man das nächste Klingeln bis zu einer Stunde aufschieben. B) ist es extrem kompliziert, an diesem Wecker die Zeiten zu verstellen. Deshalb steht mein Wecker seit Jahren auf sechs Uhr – die Weckzeit aus der Brotschmierzwang-Phase. C) geht der Wecker 13 Minuten vor. Jeden Abend denke ich: Ich müsste mal die Uhrzeit richtig stellen und die Weckzeit auf 7.30 Uhr ändern – das reicht dicke, um pünktlich zur Arbeit zu kommen. Aber dann denke ich weiter: Bin so müde, zu kompliziert, ein anderes Mal, außerdem will ich den Kindern morgen früh endlich mal wieder Liebe schenken.

Aus A) und C) ergibt sich folgendes Drama: Der Wecker klingelt um sechs. Ich drücke dreimal die Schlummertaste, weil es ja in Wahrheit erst 5.47 Uhr ist und es reicht, um 6.17 Uhr aufzustehen, um eine gute Mutter zu sein. Eine halbe Stunde später klingelt der Wecker wieder. Ich drücke zweimal, weil ich darüber nachdenken muss, ob es zwingend nötig ist, ausgerechnet heute eine gute Mutter zu sein – falls ja, kriege ich das auch noch hin, wenn ich kurz nach halb sieben aufstehe. Der Wecker klingelt ein drittes Mal. Ich beschließe, das mit der guten Mutter auf morgen zu verschieben, da brauchen die Kinder meine vorschulische Liebe viel dringender, die 16-Jährige schreibt eine Mathearbeit, der 18-Jährige hat seinen ultralangen Tag.

Ich drücke einmal auf die Schlummertaste, weil ich zehn Minuten brauche, um zu überlegen, wie oft ich noch die Schlummertaste drücken kann: Weil meine Uhr 13 Minuten vorgeht, muss ich von der angezeigten Uhrzeit 13 Minuten abziehen und dann ausrechnen, wie viele Real-Minuten ich noch habe bis 7.30 Uhr. Eine Aufgabe, die im Halbschlaf zu lösen nicht leicht ist. Manchmal brauche ich so lange, dass ich darüber wieder einschlafe, dann muss ich beim nächsten Klingeln von vorn nachdenken. Wenn ich endlich ausgerechnet habe, dass ich noch 40 min schlafen kann (um 7.40 Uhr aufstehen reicht auch noch) und viermal die Schlummertaste gedrückt habe, kann ich nicht richtig wieder einschlafen, weil ich mir Sorgen mache, dass ich mich verrechnet habe.

An meinem liberalen Wecker sieht man, wohin es führt, wenn man den Menschen zu viel Freiheit lässt: Schlendrian, Schlafsucht, schwindender Familiensinn. Ich bräuchte eine Art Trump-Wecker, ein autoritäres Modell mit einfacher Lösung und klarer Ansage. Raus aus dem Bett beim ersten, einzigen Weckruf – oder gnadenlos verschlafen: Make Aufwachen great again!

Julia Karnick

Der Artikel ist in Brigitte Woman 4/2017 erschienen.

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