Auf der Suche nach typischen und einprägsamen Architekturformen der Region bereisten Anfang der 1850er Jahre zwei Architekten den Schwarzwald. Auch der Ruine des Königenhofs, der 1844 durch eine Lawine zerstört wurde, statteten sie einen Besuch ab. Dort fanden sie ein typisches Uhrmacherhaus, das “Königenhäusle”.
Friedrich Eisenlohr, Architekturprofessor in Karlsruhe, war überzeugt, dass die bauliche Umgebung die Lebensführung der Bewohner stark prägt. Auch kleinste Hauseinheiten, nämlich die der Tagelöhner und der Handwerker, könnten sich baulich mit dem Notwendigsten wappnen und so den langen Wintern und sogar Krisen trotzen, mit Würde und Selbstbewusstsein. So schrieb er 1853 im Vorwort zur Bildmappe „Holzbauten im Schwarzwald“. Beispielhaft hierfür führte er das sogenannte Königenhäusle an, das knapp zwei Stunden Fußmarsch von Furtwangen entfernt lag.
Auf der Suche nach dem Typischen
Eisenlohr und der von ihm beauftragte Architekt Friedrich Feederle waren interessiert am typischen Hofensemble und am typischen Gewerbehäuschen des Schwarzwalds. Genau dafür stand der Königenhof im Wagnerstal mit seiner Geschichte, die 1844 tragisch endete: Die ehemals größte Hofstätte der Region war tot. Das Ensemble war jedoch erhalten und bot sich zur genauen Dokumentation an.
Das Königenhäusle – ein idealtypisches Gewerbehaus
Dieses Gebäude, damals schon über 100 Jahre alt, interessierte Friedrich Feederle besonders. Von außen wirkt es wie ein Schwarzwaldhof in kleinerem Format. Doch es ist ein Doppelhaus, das senkrecht geteilt ist. Die Hausteile sind ungleich groß, genauso auch der Status seiner Eigentümer – als Handwerker oder Tagelöhner.
Charakteristisch für eine handwerkliche Nutzung ist die komplette Durchfensterung des Erdgeschosses, das insgesamt von drei Seiten Tageslicht erhält. Feederle erläutert im Kommentar: “Es sind die den Gewerben zugewiesenen … Räume mit Fenstern nach der ganzen Länge der Außenwände versehen, und so erhalten die längs derselben angeordneten Werkbänke ein gleichmäßiges Licht und der ganze Raum trotz seiner meist zu geringen Höhe ein freundliches Ansehen”. Nicht selten dienten diese Räume gleichzeitig als Werkstatt (“Schaffstube”) und als Stube der Familie.
So wohnen Handwerker
Die Eigentümer seit 1790 sind durchweg Handwerker, meist Uhrmacher und Uhren-Gestellmacher. Tagelöhner bewohnten die kleinere Einheit, auch hier nicht zur Miete, sondern im Eigentum. Der Grundriss um 1850 zeigt: Das Handwerk wurde notwendigerweise ergänzt um eine Selbstversorger-Landwirtschaft. Ein solcher “Kuhteil” bestand meist aus einer Kuh, einem Schwein, ein bis zwei Ziegen und einem Garten, dazu günstig gepachteten Wiesen- und Ackerstücken.
Ein Gewerbehaus ist kein Miniatur-Schwarzwaldhof
Fast könnte man das Gewerbehaus als einen verkleinerten Schwarzwaldhof ansprechen. Doch Friedrich Eisenlohr unterscheidet klar zwischen Wohnstätten von “eigentlichen Hofbauern” und von “eigentlichen Uhrmachern”: Erstere wirtschaften auf einem Schwarzwald-Bauernhof. Die Flächen unter dem gewaltigem Dach dienen dem Einfahren, Viehhalten, Vorratshaltung und Versorgung. Die Landwirtschaft schöpft aus den zugehörigen Feldern und dem Wald. Die Wohnstube ist eher Wärmestube.
Anders im typischen und kleinen Uhrmacherhaus, so auch im Königenhäusle: Hier wird das Einkommen an den Stubenfenstern erwirtschaftet, daher nehmen die beiden “Schaffstuben” einen bedeutenden Teil der Grundfläche ein. Zusätzlich werden Teile des Hauses wie ein kleiner Bauernhof genutzt, sie können das Einkommen ergänzen oder notfalls ersetzen.
Klein, aber mein, und schuldenfrei
Wie krisenfest diese Kleinstform des Wohnens und Wirtschaftens sein konnte, erkannte August Meitzen 1848. Für seine Dissertation “Über die Uhrenindustrie des Schwarzwaldes” hatte er mehrere Uhrmacher dazu gebracht, ihm ihre Finanzen offenzulegen. Beim sorgfältigen Nachrechnen fand Meitzen heraus, dass die Selbstversorgung, genannt “Kuhteil”, nach Abzug aller Kosten jährlich durchaus den Gegenwert eines Gesellengehalts oder von vier bis sechs Monaten Uhrmacherei erreichen konnte. Sein Fazit: “So lange die Familie ihr Haus und ihren Grund und Boden behaupten kann, ist sie nicht bedürftig, selbst wenn einmal die Arbeit stockt und lange kein Geld eingeht. Sie beschränkt sich dann auf das notwendigste, bezieht die Kost fast ganz aus dem Grundstück, vermeidet jede Anschaffung und braucht sich nicht in Schulden zu stürzen.” Ein solcher extrem selbstgenügsamer Lebensstil habe den Vorteil, dass es nur wenige wirklich arme Familien gäbe.
Hier schließt sich der gedankliche Kreis zu Friedrich Eisenlohr, der die tradierte Architektur als Rahmen für eine gesunde Lebensführung sieht.
Friedrich Eisenlohrs konzipierte die Bildmappe als Lehrmaterial für Gewerbeschulen, aber auch als Dokumentation einer schwindenden Lebenswelt. Vermutlich ahnte er bei der Veröffentlichung 1853 schon, dass er den Niedergang jeglichen Hausgewerbes, angesichts der Industrialisierung, nicht würde aufhalten können.
Nachtrag: Das Königenhäusle (rosa markiert) wurde 1878 abgerissen. Der Steilhang ist längst wieder bewaldet. An der Stelle des Königenhofs (gelb) erinnern eine Waldhütte und eine Gedenktafel an die Stätte. (Geo-Koordinaten: 48.00229, 8.15889)
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Wie und wann Hausgewerbler ihre Waren auslieferten, lesen Sie unter: Was taten Uhrmacher am Sonntag?