Am 10. September 1888 verließ der junge Uhrmacher Berthold Schneider den Schwarzwald. Wie viele andere Handwerker begann der 18jährige ein Leben als Fabrikarbeiter, zunächst am Bodensee. Denn im österreichischen Bregenz hatte die aufstrebende Schwenninger Uhrenfirma Friedrich Mauthe ein Zweigwerk errichtet. Lesen Sie hier Schneiders Bericht.
Alles neu macht die Industrie
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts waren im Schwarzwald erste Uhrenfabriken entstanden. Bald lohnte es sich nicht mehr, eine Uhr auf handwerkliche Art herzustellen. Um die Billigkonkurrenz aus dem Schwarzwald abzuhalten, errichtete Österreich-Ungarn Zollschranken. 1887 wurden die Schutzzölle verschärft. Hoch besteuert wurde die Einfuhr von kompletten Uhren. Einzelteile hingegen unterlagen einem deutlich geringeren Steuersatz. Die Schwarzwälder Uhrenfabriken importierten daraufhin im großen Stil Einzelteile nach Österreich. Dort wurden sie zu kompletten Uhren zusammengesetzt.
Mauthe in Bregenz
Im österreichischen Zweigbetrieb montierte Mauthe klassische Fabrikuhren wie die preiswerten Blechwecker oder die damals begehrten Regulatoren. Interessanterweise verließen diese Fabrik weiterhin auch traditionelle Holzplatinenwerke im Stil des Schwarzwälder Hausgewerbes.
Berthold Schneider beschreibt die Organisation der Arbeitsabläufe in den neuerrichteten Fabrikgebäuden (siehe Abbildung oben) :
„Vorne [im zweiten Stock] kam die Holzuhrenzusammensetzerei, dann der Platz für die massiven Regulatoruhren und zuletzt für die Weckeruhren. In der ersten Zeit kamen laufend Arbeiter an, teils von Schwenningen, teils auch aus anderen Gegenden des Schwarzwaldes. Im unteren Saal waren die Stanzen, die Metalldrückerei und sonstige Maschinen zum Herstellen oder Fertigmachen der Bestandteile. In einem Nebengebäude war die Dampfmaschine, die Beizerei und das Nickelbad.
Als Schwarzwälder-Uhrmacher kam ich zunächst auf die Schottenuhren [=Holzuhren] -Zusammensetzerei. Darauf waren etwa 9 Mann beschäftigt, darunter mein Freund Alexander Winterhalter. Auch 2 Uhrmacher von St. Georgen waren dabei, und dem Stockwald. […] Das Schottenuhren Zusammensetzen geschah im Akkord.
Die tägliche Arbeitszeit dauerte damals 12 Stunden. Vor- und nachmittags war je eine halbstündige Vesperpause.“
Am Rande der Legalität
Bis sich die Abläufe in der Fabrik eingespielt hatten, musste improvisiert werden. Zu welch kuriosen Begebenheiten die österreichische Zollpolitik führen konnte, berichtet Schneider mit einem Augenzwinkern:
„Einmal mußte ich an der Bayerisch-Österreichischen Grenze, einige hundert Schritt von der Zollwache eine volle Kiste Uhren zerlegen und in der Fabrik wieder zusammensetzen. Dieses wegen dem hohen Zoll auf „fertige“ Uhren.“
Den Einfuhrzoll auf diese Weise zu reduzieren, war aber wahrscheinlich damals schon nicht sinnvoll. Denn schließlich musste man dreimal Arbeitszeit für Montage bzw. Demontage aufwenden, um Uhren auf diese Weise über die Grenze zu bringen.
Nur ein erster Schritt
Aus der Rückschau auf sein langes Arbeitsleben realisierte Schneider, dass seine Tätigkeit für Mauthe nur ein erster Schritt war auf dem Weg zur Industrialisierung der Arbeitswelt. Er hatte noch viel zu lernen:
„Da man damals in den Uhrenfabriken zum Teil noch fast handwerksmäßig arbeitete, mußte ich in meinem Leben noch manchmal umlernen. Ich wollte, um weiter zu kommen, nicht immer die gleiche Arbeit verrichten und ließ mich in die Weckerabteilung versetzen. Am liebsten hätte ich massive Regulatorwerke zusammengesetzt, aber da war kein Platz frei. Dadurch hatte ich das Arbeiten auf Holzuhren auf Lebzeit verlassen. Ich stand überhaupt oft in meinem Leben an einer Zeitenwende.“
Nach anderthalb Jahren wurde Schneiders Wunsch Wirklichkeit: Er wechselte ins Hauptwerk von Mauthe nach Schwenningen, um neue Fähigkeiten im Zusammenbau von Regulatoren zu erwerben.
Berthold Schneider sollte noch bis zum Kriegsende 1945 in der Industrie tätig sein, insgesamt über 60 Jahre.
Ein Kommentar zu „Katz und Maus am österreichischen Zoll“