Der große Uhrenschwindel oder: die “ersten” Schwarzwalduhren

Ein Schwarzwälder Original mit original Schwarzwälder “Täuschung”, um 1900

Frage an den Sammler alter Uhren: Wie sahen die ersten Zeitmesser aus dem Schwarzwald aus? Noch vor kurzem hätten Fachleute geantwortet: So wie diejenige auf dem Foto, die der recht rustikale Herr um 1900 auf seinem Schoß trägt. Erst seit kurzem wissen wir: Die Wirklichkeit sah anders aus.

Wie sahen die ersten Schwarzwalduhren aus?

Aufschluss über die Frage, wie die ersten Schwarzwalduhren aussahen, verspricht ein Blick auf die Frühzeit des Uhrensammelns. Mitte des 19. Jahrhunderts interessierte man sich erstmals für die materiellen Zeugnisse der Uhrmacherei. 1852 begann der Direktor der Furtwanger Uhrmacherschule, Robert Gerwig, alte Schwarzwalduhren zu sammeln.

Die älteste bekannte Schwarzwalduhr, mal ohne Schild…
…mal mit später erneuertem Schild, wohl um 1740, Inv. 01-0212

1860 konnte sein Nachfolger Karl Fräßle einen sensationellen Erfolg vermelden: Die „bis jetzt bekannte älteste Schwarzwälderuhr“ sei in den Besitz der Historischen Uhrensammlung übergegangen. Diese Uhr gehörte „Philipp Müller, Kienrußbrenner in der Martin Müller’schen Pech- und Kienrußfabrik in Petersthal im Renchthale“. Sie war seit Menschengedenken auf dem Bad Peterstaler Maierhof, bis dieser um 1820 abgerissen worden sei. Diese erste im Schwarzwald gefundene Holzräderuhr mit Waagbalkenhemmung befindet sich heute noch im Furtwanger Uhrenmuseum (Inv. 01-0212). Sie ist auch bis heute wohl die älteste authentische Schwarzwalduhr. Nicht umsonst ist sie eines unserer 12 Glanzstücke.

Ein anderer Weg

Nachbau einer Eisenräderuhr in Holz, Uhrmacherschule, Furtwangen, 1860, Inv. 01-0038

Nach diesem bedeutenden Fund versuchte die Uhrmacherschule weiteres Licht ins Dunkel der Uhrengeschichte zu bringen. Die Methode war jedoch eine grundsätzlich andere: An die Stelle der Suche nach erhalten gebliebenen Originalen trat der Versuch, eine Eisenuhr der frühen Neuzeit in Holz nachzubauen. Der Versuch, Metall durch Holz zu ersetzen, schien naheliegend. Schließlich weisen auch spätere Holzwerke Ähnlichkeiten zu zeitlich früheren aus Metall auf.  Wie in den eisernen Türmeruhren des 16. und 17. Jahrhunderts sind beim Nachbau die hölzernen Zahnräder in einem Flachrahmen befestigt.

Produkt des Tourismus

Bauplan einer Souveniruhr nach dem Vorbild der Uhrmacherschule, 1889

Die Uhrmacherschule schuf 1860 nur wenige Exemplare der urtümlichen Uhren. Zwanzig Jahre später jedoch wurden mehr und mehr ähnliche Stücke für den aufkommenden Tourismus gefertigt. Und noch in der jüngeren Vergangenheit sind solche Uhren populär gewesen. Offenbar erfüllen sie das Bild des romantischen Schwarzwaldes perfekt, das der Fremdenverkehr bis heute liebevoll pflegt. Mit der historischen Wirklichkeit haben diese Uhren aber nichts zu tun.

Ein Kommentar zu „Der große Uhrenschwindel oder: die “ersten” Schwarzwalduhren

Kommentar verfassen