Tagundnachtgleiche – der Tag der Geraden

Präzisions-Sonnenuhr von Yves Opizzo vor dem Deutschen Uhrenmuseum

Am 20. März ist Tagundnachtgleiche! Ein besonderes Datum, denn an diesem Tag beginnt der astronomische Frühling. Und es gibt eine weitere Besonderheit: Alle Schatten an diesem Tag wandern auf einer Geraden. Im heutigen Experiment ziehen wir unsere eigene West-Ost-Linie.

Auf Sonnenuhren ist die Tagundnachtgleiche der Tag der Geraden. So läuft der Lichtpunkt der großen Bodensonnenuhr vor dem Uhrenmuseum an diesem Tag entlang einer Punktlinie. Sie verläuft genau von West nach Ost – eben auf besagter Geraden.

Das ist kein Zufall: Astrometrisch gesprochen ist die Tagundnachtgleiche der Moment, in dem die Erdachse genau rechtwinklig zur gedachten Achse von der Sonne zum Erdmittelpunkt steht , in der Grafik als Äquinoktiallinie bezeichnet:

(Graphik: Horst Frank, Nutzung unter folgender Lizenz)

Auf der Erde verläuft die Grenze zwischen Tag und Nacht während dieser Konstellation, also am 20. März und auch am 21. September, ebenfalls auf einer Geraden, genau senkrecht vom Nordpol bis zum Südpol.

Dies hat verschiedene Folgen:

  • Genau eine Erdhälfte ist von der Sonne beleuchtet: Tag und Nacht sind gleich lang.
  • Die Grenze zwischen Tag und Nacht verläuft senkrecht über alle Breitengrade hinweg: Das Phänomen betrifft die gesamte Erdkugel am gleichen Tag.
  • Die Sonne geht, von jedem Standort der Erde aus betrachtet, jeweils genau im Osten auf und im Westen unter.
  • Damit läuft auch jeder beliebige Schattenpunkt an diesem Tag auf einer Geraden – von West nach Ost.

Pfadfinder-Regel auf dem Prüfstand

Kennen Sie die Pfadfinder-Regel zu den Himmelsrichtungen?
“Markiere den Schatten eines Objekts, so erhältst du eine Linie von West nach Ost.“
Was ist dran an dieser Regel? Wir haben es ausprobiert – und zwar bewusst mit Alltagsausstattung:
Zunächst benötigten wir einen Schattenwerfer: Ob Bleistift oder Stange, beides ist möglich. Wichtig ist, dass die Beobachtungsfläche über einen gewissen Zeitraum hinweg in der Sonne liegt. Mit Kompass und Lineal kann man später nachmessen.

Beobachtung am 17.3.2019: Eine Aluminiumstrebe auf der Terrasse dient als Schattenwerfer.
Das gleiche Experiment, drei Tage später; dieses Mal an einem sonnigen Platz im Büro, über 2,5 Stunden hinweg.

 

 

 

 

 

 

 

Am 17.3.2019 dokumentierten wir über fast drei Stunden hinweg die Position, bis Regen und Schnee die Aktion beendeten. Die Punkte liegen annähernd auf einer Geraden. Die Abweichung von der Ost-West-Achse lag, schlicht gemessen, bei unter einem Grad.

Am 20. 3. 2019  entstand eine schöne Gerade. Und diesmal lag sie sehr genau auf West-Ost. Kein Wunder: Es war Tagundnachtgleiche.

Die alte Pfadfinder-Regel zu den Himmelsrichtungen hat zu den Tagundnachtgleichen, und nur an diesen beiden Tagen, eine präzise Gültigkeit. An anderen Tagen im Jahr kann sie aber immerhin als Faustregel herhalten.

(Zum Vergrößern klicken)

Wie groß die Abweichung sein kann, wenn wir die Faustregel nur über eine kurze Zeitspanne anwenden, zeigt wiederum die Sonnenuhr in Furtwangen:  Verbindet man hier zwei beliebige Messpunkte, so kann die Abweichung sehr groß werden.  Genauer wird es, wenn man jeweils vormittags und nachmittags einen Punkt markiert und später zu einer Linie verbindet. Grund ist, dass die Messpunkte an allen Tagen des Jahres auf einem Bogen liegen, so z.B. am 21. Juni (pfeilmarkiert). Nur genau zur Tagundnachtgleiche führt uns die Messung auf einer Geraden von West nach Ost.

 

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