Hand aufs Herz: Kuckucksuhren sind Trash, oder? Dennoch ist die Pracht vieler Kuckucksuhren aus dem späten 19. Jahrhundert beeindruckend. Ich staune immer wieder, wie detailreich die Schnitzereien ausgeführt sind. Selbst die Nähte der Pulvertaschen sind fein herausgearbeitet! Aber wer konnte und wollte so einen Aufwand bezahlen? Diese Frage stellten sich schon viele Zeitgenossen Anfang des 20. Jahrhunderts, als nach der überbordenden Dekorationswut des Historismus eine neue Schlichtheit ausgerufen wurde. Wie die gloriose Epoche der hochwertigen Kuckucksuhren zu Ende ging, lesen Sie in Teil 3 des Berichts über die “Bahnhäusle-Kuckucksuhr”.
Um die Jahrhundertwende hatte die klassische Bahnhäusle-Kuckucksuhr längst mit Imageproblemen zu kämpfen. Angesichts eines sich wandelnden Zeitgeschmacks und neuer Uhrenformen wirkte die Kuckucksuhr altmodisch. Offensichtlich stagnierte der Absatz oder ging sogar zurück. Einige Firmen versuchten, dieser Entwicklung gegenzusteuern, indem sie neue Entwürfe für die Kuckucksuhr entwickelten. 1911 war in der Deutschen Uhrmacher-Zeitung unter der Überschrift „Neue Kuckucksuhren“ zu lesen:
„Trotz der großen Verbreitung, die moderne Freischwinger, Haus- und Dielenuhren, elektrische Einzeluhren oder Haupt- und Nebenuhren in neuerer Zeit gefunden haben, waren sie doch nicht imstande, unsere alte ‚Schwarzwälder‘ ganz zu verdrängen, wenn diese sich auch durch ihr unveränderliches Äußere wenig neue Freunde zu erwerben wußte. Doch es scheint, daß die Schwarzwälder Uhr sich nicht mehr länger zurückdrängen lassen will, denn sie versucht, in einem neuen, schönen Gewande wieder Eingang in unsere Wohnungen zu finden. Gerade die Neuzeit mit ihren weitgehenden Anforderungen an Stil und Anpassungsfähigkeit bietet dem entwerfenden Künstler ein weites Feld der Betätigung, und wem es gelingt, einige Muster zu schaffen, die allgemein Anklang finden, der darf für sich die Ehre in Anspruch nehmen, unserer alten Hausgenossin aus dem Schwarzwalde eine neue Blütezeit und ein neues Absatzgebiet geschaffen zu haben.“
Aber nicht nur das Produkt erwies sich als unzeitgemäß, sondern auch die Herstellungsweise. Gegenüber den mehrheitlich württembergischen Uhrenfabriken wie Junghans, Kienzle und Mauthe gerieten die hausgewerblichen Betriebe und die an der hohen handwerklichen Qualität von Werk und Gehäuse orientierten Uhrenfabriken der ersten Generation mehr und mehr ins Hintertreffen. Viele hatten mit Existenzproblemen zu kämpfen. Die Neustädter Uhrenfabrik Fürderer, Jägler & Co. war bereits 1892 in Konkurs gegangen. Die Kuckucks- und Trompeteruhrenmanufaktur von Emilian Wehrle in Furtwangen, die sich vor allem an ein finanziell begütertes Publikum richtete, musste 1896 die Uhrenproduktion einstellen. Die Uhrenfabrik von Gordian Hettich versuchte zunächst noch, durch eine Modernisierung der Gehäuse Anschluss an die übermächtig werdende Konkurrenz aus Württemberg zu halten, konnte jedoch mit den Kuckucksuhren im Jugendstil nicht reüssieren. Nach einem Fabrikbrand 1911 kam der Furtwanger Betrieb nicht mehr auf die Beine und schloss nach dem Ersten Weltkrieg endgültig die Pforten. Winterhalder & Hofmeier hatte wie viele andere durch den Ersten Weltkrieg und die Errichtung von Zollschranken in den 1920er Jahren empfindliche Verluste im wichtigen Auslandsgeschäft erlitten. Der angeschlagene Betrieb konnte die Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er Jahre nicht überstehen. Auch die Beschäftigtenzahl bei einst so erfolgreichen hausgewerblichen Werkstätten wie Ketterer in Furtwangen oder Beha in Eisenbach wurde soweit zurückgefahren, dass die Produktion an hochwertigen Kuckucksuhren im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts weitgehend zum Erliegen kam. Die klassische Epoche der Bahnhäusleuhr hatte ihr Ende gefunden.
Wie es mit der Kuckucksuhr im 20. Jahrhundert weiterging, lesen Sie hier in diesem Blog.
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