Fast jeder kennt sie: die klassische Schwarzwälder Kuckucksuhr mit ihren üppigen Schnitzereien an der Vorderseite. Aber nur die wenigsten wissen, wie eine solche Uhr vor 100 bis 150 Jahren hergestellt wurde. Was kostete sie? In welchen Ländern wurde sie damals verkauft? Diese und weitere Fragen lesen Sie in Teil 2 des Berichts über das berühmte Souvenir aus dem Schwarzwald.
Die reich verzierten Kuckucksuhren wurden nicht von einem Uhrenbauer allein gefertigt. Vielmehr teilte man sich im Schwarzwald die Arbeit an einer solchen Uhr auf, die im Volksmund “Bahnhäusleuhr” genannt wurde, weil bei der ersten ihrer Art ein Bahnwärterhäuschen Pate gestanden hatte. Bei der Kuckucksuhr gab es zahlreiche Spezialisten, die den eigentlichen Uhrmachern zuarbeiteten. 1873 berichtete Karl Schott anlässlich der Weltausstellung in Wien über die Arbeitsteilung:
„Die Vögel werden meist von Frauen geschnitzt und bemalt. Die Pfeifen werden vom Pfeifenmacher gefertigt. Mit der Fabrikation von Kuckucksuhren befassen sich außer einer Anzahl von Meistern gegenwärtig auch einige große Geschäfte, selten fertigt sie der Kuckucksuhrenmacher selbst. Dieser bezieht vielmehr die Uhrwerke, arbeitet sie genau nach, bringt die Bälge und Pfeifen an und setzt also das fertige Werk in den Kasten ein.“
Die eigentlichen Uhrmacher bedienten sich also aus einem Baukasten unterschiedlicher Teile. Anders wäre ein so komplexes Produkt wie die Bahnhäusleuhr nicht zu akzeptablen Preisen herstellbar gewesen.
Die Arbeitsteilung brachte es mit sich, dass verschiedene Uhrmacher bei den gleichen Zulieferern vollkommen identische Produkte bezogen. Insbesondere Kleinteile wie Zeiger oder Zifferblätter zeigten deshalb eine Tendenz zur Normierung. Aber es kam auch bisweilen vor, dass Uhrwerke unterschiedlicher Hersteller in äußerlich gleich aussehenden Gehäusen stecken, einfach weil diese von ein und demselben Kastenschreiner stammten.
Neben kleinsten Werkstätten für Kuckucksuhren mit ein bis zwei Angestellten gab es größere hausgewerbliche Betriebe mit höchstens einigen zehn Beschäftigten wie Johann Baptist Beha & Söhne (Eisenbach), Winterhalder & Hofmeier (Friedenweiler und Schwärzenbach), Theodor und Aron Ketterer (Furtwangen), Fidel Hepting (Furtwangen, Gütenbach und Villingen). Aber auch viele Schwarzwälder Uhrenfabriken wie Ph. Haas (St. Georgen), Gordian Hettich Sohn (Furtwangen) oder Fürderer, Jaegler und Co. (Neustadt) hatten in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts Kuckucksuhren im Programm. Nach 1900 stieg selbst Junghans, die damals größte Uhrenfabrik der Welt, ins Geschäft mit den Kuckucksuhren ein.
Der Siegeszug um die Welt – fast zu jedem Preis
Die Preise für Kuckucksuhren variierten je nach Ausstattung und Aufwand bei der Schnitzerei um mehr als das Zehnfache. Laut Karl Schott mussten Groß- und Einzelhändler bei den Fabrikanten 1873 für die billigste Kuckucksuhr mit Holzwerk etwa 5 Gulden bezahlen. War statt des standardmäßigen Lackschildes ein geschnitztes Schild gewünscht, lag der Preis nicht unter 7 Gulden. Für eine Kuckucksuhr im geschnitzten Holzkasten mit metallenem Werk anstelle von Holzplatinen und einem Tag Laufdauer waren 10 Gulden fällig, für ein 8-Tage-Werk mit Kuckuck und Wachtelautomat mindestens 25 Gulden. Der teuerste Typ Kuckucksuhr hatte ein Tischgehäuse und wurde statt von Gewichten durch Federn angetrieben. Die Preise begannen bei 18 Gulden für die einfachste Ausführung. Für reich verzierte Gehäuse mussten die Händler 30 bis 40 Gulden (1-Tage-Werk) oder sogar 40 bis 60 Gulden (8-Tage-Werk) bezahlen.
Schon zur Zeit der Wiener Weltausstellung 1873 wurden Kuckucksuhren nicht nur auf dem deutschen Binnenmarkt, sondern in die meisten Regionen der Welt verkauft. Hauptexportländer für die Kuckucksuhr in Europa waren neben der Schweiz, England, Russland und das türkische Reich. Außerdem nannte Schott in seinem Bericht 1873 als Absatzgebiete in Übersee: Nordamerika, Mexiko, Südamerika, Australien, Indien, Japan, China und sogar die Sandwich-Inseln (heute: Hawaii).
Die klassische Bahnhäusle-Kuckucksuhr war von Anfang an auch bei Touristen beliebt. Doch gab es (außer in den klassischen Erholungsorten des Adels und Großbürgertums wie Baden-Baden oder Badenweiler) noch keinen eigentlichen Schwarzwaldtourismus. Deshalb wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein beträchtlicher Teil insbesondere der aufwändigen Modelle in das klassische Reiseland Schweiz exportiert, wo sie im Umkreis des Brienzer Schnitzereigewerbes ihre Käufer fanden.
Wie es mit der Kuckucksuhr um 1900 weiterging, lesen Sie hier.
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