Bis vor 25 Jahren galt die traditionelle Kuckucksuhr als reichlich verstaubt. Doch dann entdeckte eine neue Generation von Designern das klassische Andenken und gab ihm ein vollkommen neues Image. Natürlich zeigt das Deutsche Uhrenmuseum auch einige dieser Entwürfe.
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Zeitgeist der Postmoderne
In der Nachkriegszeit hatte sich die Architektur von historischen Bauformen abgewandt. Die meisten Häuser waren nun nüchtern und sachlich gestaltet. Doch in den 1970er und 1980er Jahren begehrte eine Gruppe junger Architekten und Designer gegen die angebliche Langeweile der Moderne auf. Mit der postmodernen Architektur kehrten viele althergebrachte Stile wieder, allerdings nicht als bloße Kopie historischer Bauten, sondern als Zitat mit Augenzwinkern. Denn schließlich wollte man nicht als ewiggestriger Miesepeter gelten. Vielmehr galt es als angesagt, lustvoll mit etablierten Zeichen und Formen spielen. Dieser Zeitgeist prägte mit einiger Verspätung ab den 1990er Jahren auch die Kuckucksuhr.
Cuckoo goes crazy
Eine der ersten, die die Tradition der Kuckucksuhr im Schwarzwald neu interpretierten, war das Grafik- und Designbüro GD90 in Buchenbach am Rande des Dreisamtals. Mit dem passenden Titel „Cuckoo goes crazy“ überformten Ingrid Gnoth und Markus Dold die typische Häuschenform mit einer neuen Fassade. Der Kuckuck „versteckt“ sich in einem Gehäuse, das mit Fell und Hörnern einer Kuh oder Gefieder und Kamm eines Hahns überzogen ist.
Letztlich spielen diese Variationen der klassischen Kuckucksuhr mit dem Image des Schwarzwaldes. Schließlich ist der Schwarzwald als touristische Region nicht nur durch den dunklen Wald mit seinen Tieren geprägt, wie er sich in den Schnitzereien der traditionellen Kuckucksuhr zeigt, sondern ebenso durch die charakteristischen Bauernhöfe mit ihren Nutztieren. Doch offenbar war die Zeit für diese neuartigen Entwürfe noch nicht gekommen. So blieb es vorerst bei Prototypen.
Total blau und billig
1998 kam eine Kuckucksuhr auf den Markt, die sich grundlegend von den traditionellen geschnitzten Uhren aus Holz unterschied. Durch die Würfelform und das Material Kunststoff suchten die Designer Zetsche & Beckmann aus Berlin den Anschluss an den aktuellen Wohngeschmack. Diese Uhr gab es als transparentes Modell oder aber auch in der zeittypischen Kombination von sattem Blau mit der Schockfarbe Orange für Zeiger, Pendel und Gewicht. (Inv. 1998-023, -024).
Im Innern tickte ein mechanisches Werk aus dem Schwarzwald – allerdings in einer wenig soliden Qualität und abgespeckten Funktion. Wohl um die Herstellungskosten und damit letztlich den Verkaufspreis zu senken, hatte man sich bei dem Hamburger Unternehmen Brainbox entschieden, den Kuckuck jede halbe Stunde nur einmal rufen zu lassen.
Offensichtlich war es Brainbox nicht wichtig, ein robustes und langlebiges Produkt zu verkaufen. Vielmehr war die Uhr als Lifestyle-Artikel konzipiert, das seinen Zweck erfüllt hat, wenn sich die Mode änderte.
Elektronische Kuckucksuhrwerke von Engstler
Einen regelrechten Schub erhielt die Entwicklung, als statt der traditionellen mechanischen Kuckucksuhrwerke auch solche mit Quarzwerk verfügbar waren. Bei diesen elektronischen Werken wurde auch der Kuckucksruf nicht mehr mit zwei Orgelpfeifen erzeugt, sondern von einer Sounddatei über Lautsprecher abgespielt. Dieses neuartige Kuckucksuhrwerk wurde erstmals in den Jahren um 2000 von der Firma Engstler in Villingen-Schwenningen entwickelt und produziert.
Dank der elektronischen Sounddatei konnten die Uhren nun statt des Kuckucksrufs auch vollkommen andere Töne spielen. Viele dieser Produkte der Populärkultur erinnerten an die klassischen Schwarzwalduhren nur noch am Rande.
Sehr erfolgreich sind Uhren mit unterschiedlichen Tierlauten, die die Firma HeadsUp Design auf den Markt brachte. Sie verwirklichten ab 2003 auf Kinderzimmer-Niveau, was bei den ersten postmodernen Kuckucksuhren von GD90 noch Vision war. Statt dem Kuckuck erscheint jede Stunde im Törchen ein Affe, eine Kuh, ein Hund, Schaf, Pferd oder Schwein.
Homer Simpson und die Kuckucksuhr
Homer Simpson hat eine ganz besondere Beziehung zur Kuckucksuhr. In einer Folge der Kultserie „Die Simpsons“ verkündet der überforderte Familienvater verzweifelt: „Ich lebe in einer Kuckucksuhr“ (“I am living in a cuckoo clock“). Nach diesem absurden Bekenntnis kam 2008 tatsächlich eine Uhr auf den Markt, in der anstelle eines Kuckucks der Antiheld aus der Kleinstadt Springfield wohnt.
Mit dem Schwarzwald hat das Gehäuse nichts mehr zu tun: Es zeigt Homer Simpsons Stammlokal „Moe’s Tavern“. Hier trinkt er regelmäßig das ein oder andere Duff-Beer zu viel. Kein Wunder, dass er stark beschwingt aus dem Türchen der Uhr tritt und dabei lautstark gröhlt!
Edles italienisches Design
In den 2000er Jahren präsentierten einige italienische Designer Stücke für den gehobenen Wohnbedarf. Nun wohnte der Kuckuck auch schon einmal in einem weiß-orange gestreiften Leuchtturm. Typisch für viele Uhren der Designmarke Progetti ist eine leichte Ironie – vielleicht besonders deutlich dort, wo der Vogel aus einem halben gekochten (Kuckucks?) Ei tritt.
Ob der Kuckuck in der Uhr noch „richtig“ funktioniert oder nicht, war eher nebensächlich, teils auch gar nicht mehr gewollt. So entwarf die Amsterdamer Designerin Anne-Claire Petit 2013 eine Kuckucksuhr, bei der das gesamte Gehäuse einschließlich des Vogels gehäkelt ist. Dem Zeitgeist entsprechend sind die Handarbeiten nachweislich fair produziert.
Neue Uhren für den Schwarzwald
Selbstverständlich ist diese Entwicklung am Schwarzwald nicht spurlos vorbeigegangen. Auch hier entstanden in den vergangenen zwei Jahrzehnten vollkommen neue Entwürfe, die sich längst zu modernen Klassikern entwickelt haben. Einige davon gibt es auch in unserem Museumsshop zu kaufen. Für den kleinen Geldbeutel gibt es den „Kuckulino“ in vielen bunten Farben.
Witzig auch der Entwurf eines “Strandkiosks” der Traditionsfirma Rombach & Haas aus Schonach, ausgestattet mit einem klassischen Kuckucksuhrwerk mit 8 Tagen Laufdauer. Hier tritt der Kuckuck aus einem Kläppchen, das sich wie bei einer nostalgischen Eisbude nach oben öffnet.
Dass die modernen Schwarzwälder Kuckucksuhren im In- und Ausland bekannt wurden, dafür hat sich Ingolf Haas, der Seniorchef von Rombach & Haas, stark gemacht. Einer seiner größten Erfolge des langjährigen Vorsitzenden der hiesigen Kuckucksuhrproduzenten war der Chor aus unterschiedlichen Kuckucksuhren auf der Expo 2010 in Shanghai, der sich zum Publikumsliebling entwickelte.
Stefan Strumbel
Mindestens ebenso wichtig für die neue Wahrnehmung der modernen Schwarzwälder Kuckucksuhr in der Öffentlichkeit war der Offenburger Street Art-Künstler Stefan Strumbel. Ihm gelang der Coup, seine im Graffiti-Stil bunt bemalten Kuckucksuhren dem Modeschöpfer Karl Lagerfeld in die Hand zu drücken. Das Foto der ganz in schwarz gekleideten Stilikone mit der poppigen Uhr zierte gar den Titel der New York Times.
Aber auch im Schwarzwald selbst machte Strumbel Furore. So zeigte die Veranstaltungsbroschüre des Tourismusverbunds rund um Titisee und Feldberg im Frühjahr 2010 eine seiner Kuckucksuhren auf dem Titelblatt. Nur flüchtig betrachtet, scheint diese Uhr als ein traditionelles Jagdstück mit geschnitzten Gewehren und erlegten Tieren an der Vorderseite. Doch Strumbel ersetzte die Insignien der Jagd durch Utensilien moderner Kriegsführung wie Sturmgewehre und Handgranaten. Das Todbringende dieser Waffen symbolisierte der Schädel mit den gekreuzten Knochen, dem als Bekrönung ein Kreuz aufgesetzt ist. Und als wäre das noch nicht genug, montierte Strumbel links und rechts zwei Flügel, die einige an die Schwingen des „Reichsadlers“ erinnerten.
Für viele war diese Kuckucksuhr auf dem Titelbild pure Provokation. Denn sie zeigt nicht die heile Welt des Schwarzwaldtourismus, sondern die Gewalt, die von Deutschland in der Geschichte ausging. Einige sahen darin sogar eine neofaschistische Verherrlichung von Waffen.
Der Hinweis des zuständigen Tourismusmanagers, dass es sich bei Strumbels Uhren um international beachtete Kunst handele, nutzte nichts. Zwei Monate nach dem Erscheinen des Veranstaltungskalenders titelte die Badische Zeitung: „Handgranaten-Kuckuck verschwindet von Touristen-Broschüre“. Die Restauflage wurde mit einem unverfänglichen Motiv überklebt.
Strumbel hat diese negative Aufmerksamkeit nicht geschadet, im Gegenteil. Heute gehört er zu den renommiertesten Künstlern der Region, geadelt durch eine eigene Ausstellung im Badischen Landesmuseum. Anlässlich der Ausstellung zum Jubiläum “900 Jahre Baden” wurde sogar die Fassade des altehrwürdigen Karlsruher Schlosses mit einer überdimensionalen Kuckucksuhr von Stefan Strumbel verkleidet.
Auch die Aufregung über die modernen Kuckucksuhren mit elektronischen Vogelruf hat sich längst gelegt. Heute gehören sie fest zum Angebot fast aller Hersteller im Schwarzwald – egal, ob im traditionellen Bahnhäuslestil mit Schnitzereien oder im (post-)modernen Kleid.