Ein eher schlichtes Uhrwerk: Nur ein paar Zahnräder mit zwei Spulen. Doch die Uhr ist ein wichtiger Baustein zur Geschichte eines Lahrer Uhrengeschäfts. Der Besitzer hatte das Uhrwerk an der Furtwanger Uhrmacherschule gebaut. Lesen Sie jetzt mehr …
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Ein doppelter Glücksfall
Manchmal ist es ein Glücksfall, wenn jemand nichts wegwerfen kann. So geschehen bei Heinz-Julius Hockauf. Seine Familie führte über drei Generationen ein Uhrengeschäft in Lahr.
Wie die meisten Uhrengeschäfte hatte dieser Betrieb vor einigen Jahrzehnten schließen müssen. Denn diese Art Einzelhandelsgeschäfte mit angeschlossener Werkstatt konnten spätestens mit dem Aufkommen der Quarzuhren in den 1970er Jahren nicht mehr rentabel geführt werden. Die Werkstätte und Teile des Betriebsinventars lagerte Heinz-Julius Hockauf in seinem Privathaus ein. Dort blieben die Stücke, bis er 2021 im gesegneten Alter von 89 Jahren starb.
Ein zweiter Glücksfall war, dass die Erben im Nachlass eine große Mappe fanden – mit zahlreichen technischen Zeichnungen der Uhrmacherschule Furtwangen. Sie riefen bei uns in Furtwangen an, ob wir nicht Interesse an den Zeichnungen hätten.
Bei der Abholung in Lahr durften wir darüberhinaus weitere Stücke mitnehmen, die für die Sammlung des Deutschen Uhrenmuseums von Bedeutung sind. Bemerkenswert: Mit den Dokumenten, Fotos und Uhren lässt sich die Geschichte eines Uhrengeschäfts über drei Generationen während des gesamten 20. Jahrhunderts nachzeichnen. Ein für uns bislang einzigartiger Bestand! Herzlichen Dank dem Erben für diese großzügige Unterstützung unserer Arbeit!
Das Uhrengeschäft in der Moltkestraße 31
1921 berichtet das Branchenblatt „Die Uhrmacherkunst“: „Lahr. Julius Hockauf, Uhrmachermeister, Chronometermacher und Ingenieur, übernahm das Juwelen-, Gold- und Silberwaren-, Uhren-und Optikgeschäft von Herrn Juwelier Edmund Waibel.“ Ein Foto aus den 1920er Jahren zeigt das Uhrengeschäft in einem schmucken Bürgerhaus. Davor steht der Besitzer, Julius Hockauf (sen.) mit Frau.
Bei der Geschäftsübernahme hatte der Vater eine bewegte Berufslaufbahn hinter sich. Er stammte ursprünglich aus Oberlichtenwand in Böhmen, wo er am 11. August 1869 geboren wurde.
Als sein Sohn am 16. November 1898 geboren wurde, war Hockauf laut Geburtsurkunde in Freiburg/Schlesien ansässig, einem damals bedeutenden Zentrum für die Uhrenproduktion. Es ist anzunehmen, dass der Uhrmacher und Ingenieur bei einer der dortigen Uhrenfabriken beschäftigt war.
Zehn Jahre später berichtet die Deutsche Uhrmacher-Zeitung (1908, S. 264), dass dem Betriebsingenieur Julius Hockauf die Gesamtprokura für die Uhrenfabrik Villingen erteilt wurde. Doch ein Jahr später ist im Allgemeinen Journal der Uhrmacherkunst auf S. 238 zu lesen: Ihm sei die Handlungsvollmacht wieder entzogen worden. Hintergrund war wohl, dass die Geschäftsentwicklung der Uhrenfabrik 1908 einen sehr ungünstigen Verlauf genommen hatte, wie Hans-Heinrich Schmid in seinem „Lexikon der Deutschen Uhrenindustrie“ zu berichten weiß. So mussten der damalige Direktor Rady und vermutlich auch andere Mitglieder der Geschäftsführung wie Julius Hockauf den Hut nehmen.
Die tiefe Absatzkrise traf aber nicht nur die Fabrik in Villingen empfindlich, sondern ebenso die meisten anderen Betriebe im badischen Teil des Schwarzwaldes. 1914 musste die Villinger Uhrenfabrik Konkurs anmelden. Auch andere traditionsreiche Unternehmen wie die Aktiengesellschaft für Uhrenfabrikation in Lenzkirch, Winterhalder & Hofmeyer in Neustadt oder L. Furtwängler Söhne in Furtwangen kamen nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr recht auf die Beine. Spätestens in der Weltwirtschaftskrise um 1930 mussten sie ihre Pforten schließen.
Nach der Episode bei der Villinger Uhrenfabrik ist die Familie Hockauf in Lenzkirch ansässig. Denn auf einem Prototyp eines Uhrwerks mit einstellbarer Schlagabschaltung ist auf der Rückseite die Inschrift „Hockauf / Lenzkirch / 1918“ eingeschlagen. Leider ist nicht bekannt, inwieweit Julius Hockauf für die dortige Uhrenfabrik tätig war. Aber offenbar gab es auch in Lenzkirch für den nun fast 50-Jährigen Betriebsingenieur keine Zukunft mehr in der kriselnden Uhrenindustrie, so dass er 1921 das Uhrengeschäft in Lahr übernahm.
Julius Hockauf (jun.)
Die Namensgleichheit mit dem Vater lässt es erahnen: Hier soll die Familientradition weitergeführt werden. Deshalb verwundert es kaum, dass der 1898 geborene Sohn denselben Beruf wie der Vater erlernte. 1913 begann er mit seine Lehre an der Großherzoglich Badischen Uhrmacherschule in Furtwangen.
Die erhaltenen Dokumente und Lehrlingsarbeiten vermitteln ein sehr plastisches Bild vom Unterricht in der damaligen Zeit. Noch heute haben insbesondere die aufwändigen Zeichnungen zur Uhrentechnik in ihrer atemberaubenden Präzision nichts von ihrer ästhetischen Faszination
verloren. Zwar hat das Deutsche Uhrenmuseum bereits früher einige solche Zeichnungen erhalten, doch ist das Konvolut von Julius Hockauf in ihrer Vollständigkeit einzigartig. Zudem sind mehrere Lehrlingsarbeiten überliefert, die nach diesen Konstruktionen angefertigt wurden.
Wie fortschrittlich die Ausbildung in Furtwangen war, zeigt ein elektrisches Nebenuhrwerk, das Julius Hockauf (jun.) wohl 1916 im dritten und letzten Lehrjahr angefertigt hat. Schon in den 1890er Jahren hatte die Großherzogliche Uhrmacherschule Elemente der Elektrotechnik in den Lehrplan aufgenommen und später dann neben den eigentlichen Uhrmachern auch Elektrotechniker ausgebildet.
Als eine der anspruchsvollsten Arbeiten in der Uhrmacherei gilt die Anfertigung einer Chronometerhemmung. Die Funktion dieses kleinen Bauteils wird sichtbar, wenn man den Chronometergang wie Julius Hockauf in Form eines Modells vergrößert.
Möglicherweise für den Abschluss der Lehre entstand ein Wecker mit Massivwerk. Diese Art Wecker war in seiner Solidität in Material und Ausführung der Tradition der französischen Uhrenindustrie des 19. Jahrhunderts verpflichtet. Mit dieser Arbeit konnte Hockauf seine Befähigung unter Beweis stellen, eine Reparaturwerkstätte zu führen und dabei nicht nur Einzelteile auszutauschen, sondern selbst herzustellen.
Julius Hockauf (jun.) unterstützte seinen Vater bei der Arbeit im Lahrer Familienunternehmen. Wann er das Uhrengeschäft von seinem Vater übernommen hat, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall war er dort wohl noch Ende 1963 tätig.
Heinz Julius Hockauf
Am 29. Dezember 1932 wurde Heinz Julius Hockauf als Sohn von Julius Hockauf (jun.) in Lahr geboren. Wie schon der Vater wurde Heinz Julius Hockauf Uhrmacher. Die Ausbildung erfolgte aber nicht an einer Uhrmacherschule, sondern im väterlichen Betrieb. Die Neue Uhrmacherzeitung berichtet 1953 (Nr. 9, S. 27): “Lahr. Roland Huber (Lehrherr: Uhrmachermeister Graf in Lahr) und Heinz Hockauf (Lehrherr: Julius Hockauf in Lahr) bestanden die Gehilfenprüfung.”
Inwieweit er im väterlichen Geschäft gearbeitet hat, ist unklar. Belegt ist, dass er sich zum Techniker weitergebildet hat. 1956 war er an der Offenburger Gewerbeschule für ein Vorsemester, das ihn zum Besuch des Staatstechnikums befähigte. 1961 besuchte er dann das Technikum in Weil am Rhein. Ein Abschlusszeugnis konnte im Familiennachlass jedoch nicht gefunden werden. Bis 1965 hatte er mehrere kurze Anstellungen in der Industrie und als Handelsvertreter.
1963 vollendete Julius Hockauf (jun.) sein 65stes Lebensjahr. Sein Sohn Heinz Julius versuchte nun, von der Stadt Lahr die Genehmigung zu erhalten, das väterliche Geschäft zu übernehmen. Doch sein Antrag, einen „Einzelhandel mit Waren aller Art (Uhren – Schmuck – Bestecke)” zu eröffnen, wurde abgelehnt. Wahrscheinlich hat die Tatsache, dass zur Führung eines Uhrmachergeschäfts ein Meistertitel notwendig war, diese Ablehnung verursacht. Denn im Anschluss an den negativen Bescheid besuchte Heinz Julius Hockauf einen Meisterkurs. Im Oktober 1964 bestand er die Meisterprüfung im Uhrmacherhandwerk an der Industrie- und Handwerkskammer Rottweil.
Ob er direkt nach der Meisterprüfung das väterliche Geschäft übernommen hat, ist bislang noch unklar. Ebenso, wann Heinz Julius Hockauf das Geschäft aufgegeben hat. Aber vielleicht führt ja dieser Blogbeitrag dazu, dass jemand die offenen Fragen beantworten kann?
Doch selbst wenn die Biographien noch einzelne Lücken aufweisen, ist der Nachlass des Uhrmachergeschäfts Hockauf für das Deutsche Uhrenmuseum ein geschichtlich höchst aufschlussreicher Bestand. Denn er zeigt ganz typische Tendenzen des Uhrmacherhandwerks im 20. Jahrhundert.