Bedeutende Uhrensammler – ein Kongress in New York

Liebhaber alter Dinge werden gelegentlich als Sonderlinge belächelt. Aber ernsthafte Sammler können auf ihrem Gebiet auch unschätzbares Expertenwissen erwerben. Ein Kongress in New York ging der Bedeutung von Uhrensammlern für die Uhrengeschichte nach.

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Unter dem Motto „Horology’s Great Collectors“ haben sich am dritten Oktoberwochenende etwa  100 Sammler und Museumsleute aus den Vereinigten Staaten, Deutschland, der Schweiz und Großbritanniens in New York getroffen. Aus dem Deutschen Uhrenmuseum dabei war Johannes Graf. Hier der Bericht des Wissenschaftlichen Mitarbeiters und Stellvertretenden Museumsleiters:

Ankunft

5th Avenue, unweit des Tagungsortes

Donnerstag, 21. Oktober, 13:30 Uhr New Yorker Ortszeit: Pünktlich landet mein Flugzeug am John F. Kennedy Airport. Die Sonne scheint, es sind milde 12 Grad. Ein perfekter Empfang! Die U-Bahn bringt mich direkt ins Herz von Manhattan. Keine zehn Fussminuten an der noblen 5th Avenue entlang erreiche ich mein Hotel. Es liegt in einer ruhigen Seitenstraße, nur einen Block vom Tagungsort in der West 44th Street entfernt.

Ich freue mich sehr auf das zweitägige Symposium, das eines der definitiven Höhepunkte des Jahres für Uhrenliebhaber ist. Veranstaltet wird es von der National Association for Clock & Watch Collectors, kurz NAWCC. Dieser Verein für Liebhaber alter Uhren ist mit weltweit knapp 10.000 Mitgliedern die größte Vereinigung ihrer Art. Die NAWCC hat sich auf die Fahnen geschrieben, nicht nur Serviceeinrichtung für Uhrensammler zu sein, sondern sie möchte mit Bibliothek und Museum, Kursen über Uhrmacherei und Restaurierung, einer Zeitschrift und Tagungen das Wissen um alte Uhren bewahren und neue Forschungen anregen.

Das jährlich stattfindende Symposium ist keine staubtrockene akademische Veranstaltung, sondern eine gelungene, sehr amerikanische Mischung aus Bildung, Unterhaltung und gesellschaftlichem Ereignis. Dies ist nicht zuletzt Bob Frishman zu verdanken, der seit einigen Jahren diese jährlichen Treffen organisiert.

Welcome Dinner

Um 18 Uhr bin ich in einem traditionsreichen neapolitanischen Restaurant unweit des Times Square verabredet. Dort treffe ich Bob Frishman, der mich bereits 2018 zum NAWCC Symposium ins Henry Ford Museum nach Detroit eingeladen hatte, wo ich einen Vortrag zum Thema Autouhren halten durfte.

Auch einige amerikanische Uhrenliebhaber, die ich bereits aus Detroit kenne, sind anwesend. Außerdem einige andere Fachleute und Sammler aus Großbritannien und den Vereinigten Staaten, die dem Deutschen Uhrenmuseum seit Jahren eng verbunden sind.

Stellvertretend seien hier nur drei Gäste aus Großbritannien erwähnt. Jonathan Betts war früher Kurator am Observatorium in Greenwich. James Nye ist Chairman der altehrwürdigen Antiquarian Horological Society (kurz: AHS) sowie Master der Worshipful Company of Clockmakers, der ältesten Uhrmachervereinigung mit dem ältesten Uhrenmuseum weltweit. Beide haben sich zuletzt als Herausgeber von „A General History of Horology“ verdient gemacht. In diesem Handbuch ist das aktuelle Wissen zur Uhrengeschichte kompakt zusammengefasst. Ebenfalls aus England angereist ist Oliver Cooke, Kurator für Uhren am British Museum.

 

Spezialführung im Metropolitan Museum (von links): Curator Wolfram Koeppe, James Nye (Chairman Antiquarian Horological Society), Oliver Cooke (British Museum), Fortunat Mueller-Maerki (Jost-Buergi Library)

Trotz der Freude des Wiedersehens bin ich froh, dass ich mich um 21 Uhr verabschieden kann. Schließlich bin ich seit fast 24 Stunden auf den Beinen. Hundemüde falle ich ins Bett, wohl wissend, dass der morgige Tag sehr ereignisreich werden wird.

Spezialführung im Metropolitan Museum

Freitag, 21. Oktober: Das herbstliche Manhattan empfängt mich erneut mit strahlend blauem Himmel. In einer kleinen Gruppe verlassen wir um 9:30 Uhr das Hotel. Dank der zentralen Lage erreichen wir in einer knappen halben Stunde das Metropolitan Museum of Art zu Fuß.

Der imposante Gebäudekomplex des Metropolitan Museum am Central Park ist fast eine kleine Stadt für sich. Er umfasst einen ganzen New Yorker Straßenblock und ist damit eines der größten und auch bedeutendsten kunsthistorischen Museen.

Metropolitan Museum of Art, Haupteingang

Am Haupteingang treffen wir Wolfram Koeppe, der für die hochkarätige Uhrensammlung des Museums verantwortlich ist. Wir erhalten eine Spezialführung zum Thema Uhren. Ausgestellt ist, was seit jeher die Herzen von Antiquitätenliebhabern höherschlagen lässt, das beste und teuerste, was die Uhrmacher und die Gehäusemacher von der Renaissance bis zum Klassizismus hervorgebracht haben.

Der Rundgang durch die Schausammlung zeigt aber nur die Spitze des Eisberges. Glücklicherweise haben wir die seltene Gelegenheit, zusammen mit dem Kurator einen Blick auf andere Highlights der Uhrengeschichte zu werfen, die hinter den Kulissen im Depot aufbewahrt werden.

Vortragsprogramm

Um 14 Uhr beginnen die Vorträge im denkmalgeschützten Gebäude der General Society of Mechanics & Tradesman of the City of New York. Die hohe Aula der Gewerbebibliothek, links und rechts von mehreren Stockwerken mit historischen Bücherbeständen begrenzt, bildet einen würdigen Rahmen für die Tagung.

Vortragssaal in der General Society of Mechanics & Tradesman of the City of New York, 20 West 44th Street

Bob Frishman stellt das bis heute unterschätzte Thema der Illustrationen zum Thema Uhr und Uhrmacher vor. Anschließend berichtet Martin Conradi über den Uhrmacher John Redfern. Als Pionier der Visualisierung von Uhrentechnik hat Redfern mit seinen Animationsfilmen Bahnbrechendes geleistet.

Nach der Kaffeepause spricht Daryn Schnipper. Sie ist Vizepräsidentin des ehrwürdigen Auktionshauses Sotheby’s, und sie ist dort für Uhren zuständig. Es war sehr erfrischend und sicherlich auch für Uhrensammler erhellend, das Thema Sammler und Sammlungen einmal aus den Augen des Antiquitätenhandels zu betrachten.

Einweihung der Jost Buergi-Library

Jost-Buergi Library, Eröffnung

Um 18 Uhr schloss sich die feierliche Übergabe der Uhrenbibliothek von Fortunat Mueller-Maerki an die Horological Society of New York an. Der aus der Schweiz stammende Fortunat Mueller-Maerki hat in jahrzehntelanger Suche die mit über 20.000 Titeln (!) wohl umfangreichste und bedeutendste Privatsammlung an Uhrenbüchern und –zeitschriften weltweit zusammengetragen. Die Bibliothek ist nun auf Dauer im 5. Stocks der General Society of Mechanics & Tradesman untergebracht. Sie wird nach dem Schweizer

Der Stifter Fortunat Mueller-Maerki (links) mit Nicholas Manousos, Direktor der Historical Society of New York

Jost Bürgi benannt, einem der herausragenden Uhrmacher aus dem frühen 16. Jahrhundert.

Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass dieser einzigartige Bücherschatz der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird – und das allein durch die Initiative eines Stifters und eines Vereins. Ein wirklich eindrückliches Beispiel für die Stiftungskultur und das ehrenamtliche Engagement in den Vereinigten Staaten!

Uhrensammler und Museen

Samstag, der 23. Oktober: Ich bin früh aufgewacht. Denn meine Aufregung ist groß. Schließlich soll ich um 9:15 Uhr den Vortragsreigen mit insgesamt acht Porträts von bedeutenden Sammlern eröffnen.

Der Tagungsort, das denkmalgeschützte Gebäude der General Society of Mechanics & Tradesman of the City of New York

Ich stelle Oskar Spiegelhalder vor, den wohl bedeutendsten Sammler von Schwarzwalduhren. In den Jahrzehnten um 1900 trug er drei unterschiedliche Sammlungen zusammen und verkaufte sie an die damals führenden badischen Museen, das Badische Landesmuseum in Karlsruhe, das Augustinermuseum in Freiburg und das Franziskanermuseum in Villingen. Bis heute bilden diese Sammlungen den Grundstock der materiellen Überlieferung des Schwarzwaldes.

Nach meinem Vortrag spricht Oliver Cooke, zuständig für die Uhren am British Museum London. Ich bin überrascht zu hören, dass der Uhrenbestand im Flaggschiff der englischen Museumslandschaft ebenfalls maßgeblich auf einen einzigen Sammler zurückgeht: Sir Courtenay Adrian Ilbert.

Uhrensammler und die Uhrengeschichte

Aber nicht nur für Museumsfachleute bietet der Kongress viel Neues, sondern auch für diejenigen, die einfach nur hören wollen, wie der persönliche Geschmack Einzelner ganze Generationen von Sammlern beeinflusst hat. Denn in der Regel haben sich die herausragenden Sammler auch zu Fachleuten auf ihrem Gebiet entwickelt, die durch eigene Veröffentlichungen die Uhrenforschung vorangebracht haben.

Für mich besonders aufschlussreich ist der Vortrag von Russ Oechsle über Chris Brown, der sich auf Shelf Clocks spezialisiert hatte. Dieser Uhrentyp markiert Mitte des 19. Jahrhunderts den Übergang von handwerklicher Herstellung zur Uhrenindustrie in den Vereinigten Staaten. Die Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten in der Entwicklung zum Schwarzwald zu erkennen, hat mich persönlich weitergebracht.

Meine individuelle Vorliebe für dieses Thema soll aber nicht die Arbeit all der anderen Referenten schmälern, die ebenso informative und darüber hinaus meist unterhaltsame Porträts anderer Uhrensammler gezeichnet haben.

Am Ende des Tages weiß ich, dass Bob Frishman wieder einmal ein gutes Händchen bei der Zusammenstellung der Vorträge bewiesen hat. Der Bogen an Porträts reicht von den Uhrensammlern des späten 19. Jahrhunderts bis zu den Liebhabern von Armbanduhren der Firma Patek Philippe in der Gegenwart. Wer möchte, kann die einzelnen Beiträge unter folgenden Links abrufen:

Ausklang im Harvard-Club

Festabend im altehrwürdigen Harvard-Club of New York

Abends treffen wir uns zu einem  Empfang und anschließendem Banquett im gegenüber dem Tagungsort liegenden Harvard-Club. Damit findet der Kongress seinen festlichen Abschluss. Angesichts der sehr gediegenen Räume fühle ich mich wie in eine Hollywood-Kulisse versetzt. Meine Tochter würde sagen: Fast wie bei Harry Potter!

Schade, dass es nach einem Ruhetag schon wieder nach Hause geht…

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