Wie klein ist eine Sorguhr?

Schwarzwälder Uhrmacher bauten im 19. Jahrhundert unterschiedliche Holzwerke. Neben „normalgroßen“ gab es kleinere Schottenuhren und winzige Jockele- und Sorguhren. Aber wie grenzt man die Uhrensorten voneinander ab? Bei der Beantwortung dieser Frage spielte diese Rahmenuhr eine entscheidende Rolle.

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Eine typische Rahmenuhr

Eine Rahmenuhr, die es in sich hat (Inv. 2022-219)

Von Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Zeit um 1900 gehörten sie zum Angebot zahlreicher Uhrenhersteller im Schwarzwald: Die Rahmenuhr. So benannt nach dem Bilderrahmen an der Vorderseite. Der Rahmen war meist mit einem Glas versehen.

Das Uhrwerk dahinter schützt ein Holzkasten. Deshalb hießen diese Uhren auch „Kastenuhren“ . Das Gehäuse besticht durch die sorgfältige Ausführung. Der rückseitige Kasten ist nussbaumfurniert.

Das Schild aus geprägtem Metall ist reich an Details. Das zentrale “Minnesang-Motiv” zeigt einen in wallende Gewänder gekleideten Lautenspieler und eine Frau vor einem Kreuzgang mit gotischen Stilelementen. Muschelförmige Rocaillen, wie sie vor allem im Barock beliebt waren, rahmen die Szene ein. Diese Kombination unterschiedlicher Zeitstile ist sehr typisch für den Historismus des 19. Jahrhunderts.

Was sofort auffällt: Das Gehäuse ist 28 cm hoch und 24 cm breit; das Pendel , das unten aus dem Kasten herausragt, ist winzig! Ein Hinweis darauf, dass diese Uhr wohl ein besonderes Uhrwerk enthält.

Das Werk der Uhr

Im Kasten: ein kleines Uhrwerk

Wenn man die Rückseite der Uhr öffnet, zeigt sich das sehr kleine Holzuhrwerk. Es ist nur 8,5 cm hoch. Werke dieser Größe sind bei Uhren aus den Schwarzwälder Uhrenwerkstätten des 19. Jahrhunderts selten zu finden.

Die allermeisten Holzwerke haben eine Gestellhöhe von 16 bis 22 cm bzw. 10 bis 13 cm. Der erste Werktyp mit den größten Abmessungen wird traditionell als „normalgroße Uhr“ bezeichnet, der etwas kleinere als „Schottenuhr“.

Unterhalb der Größe dieser alltäglichen Schwarzwälder Uhrwerke gab es noch die Jockele- und die Sorguhren. Sie tragen den Namen ihrer „Erfinder“ – oder besser: „Erstverfertiger“:

Normalgroßes, Schotten-, Jockele- und Sorguhrwerk (von links)

Die Jockeleuhrwerke mit einer Höhe von 7 bis 8 cm sollen der Überlieferung nach um 1790 erstmals von Jacob Herbstreitt oder Herbstritt aus Hinterzarten hergestellt worden sein. Er wurde von seinem Großvater „Jockele“ gerufen.

Der Ursprung der noch kleineren Sorguhrwerke mit einer Höhe von 6 bis 7 cm liegt bei Josef Sorg aus Neustadt um 1830. Diesen Namen trugen damals zwei Uhrmacher. Zur Unterscheidung der beiden Halbbrüder wird der ältere als „Josef Sorg (alt)“ bezeichnet, der jüngere und wohl der „Erfinder“ dieses kleinen Uhrentyps „Josef Sorg (jung)“.

Außerdem gab es ganz wenige noch kleinere „Miniaturuhren“. Sie spielten in der hausgewerblichen Epoche jedoch kaum eine Rolle.

Eine Jockele-Uhr?

Links: Jockele-Werk, J. Isenmann, Eisenbach (Inv. 08-2023). Rechts 1-Tag-Sorgwerk, Franz J. Pfaff (Inv. K-0195)). In der Mitte: Das Uhrwerk der Rahmenuhr (Inv. 2022-219).

Worum handelt es sich also bei diesem Uhrwerk mit 8,5 cm Höhe? Nach der lange Zeit üblichen Definition wäre es eine etwas groß geratene Jockele-Uhr. Doch als der Uhrensammler Rainer Kern diese Uhr vor etwa 25 Jahren genauer untersuchte, staunte er nicht schlecht. Denn anders als bei einer Jockele-Uhr wies das Gehwerk nicht drei, sondern vier Zahnräder auf. Die Uhr hatte folglich keine Laufdauer von einem Tag (wie bei drei Übersetzungsstufen), sondern von 8 Tagen. Es handelte sich also folglich nicht um eine Jockeleuhr, sondern um eine Sorguhr mit 8 Tagen Laufdauer!

Diese Entdeckung war eine kleine Sensation. Denn von dieser Uhrensorte waren bislang nur Exemplare bekannt geworden, die jeden Tag aufgezogen werden mussten.

Links: Das Sorgwerk der Rahmenuhr mit vier Zahnrädern im Gehwerk und 8 Tagen Laufdauer (Inv. 2022-219). Rechts: Sorguhr mit drei Zahnrädern und 1 Tag Laufdauer von Franz J. Pfaff (Inv. K-0195). Anders als die Gestellhöhe bleiben die Abstände zwischen den Achsen des Gehwerks gleich, egal, ob die Uhr einmal am Tag oder jede Woche aufgezogen werden muss.

 

 

Achsabstände statt Gestellhöhe

Die Höhe der Uhrwerke führt laut Rainer Kern häufig in die Irre, wenn man den Gattungstyp von Schwarzwalduhren bestimmen will. Denn je nach Werkausführung (1 Tag oder 8 Tage Laufdauer) können sich die Maße der Uhrentypen überschneiden – z. B. eine 8-Tage-Sorguhr von 8,5 cm und eine 1-Tage-Jockeleuhr von 8 cm oder eine Jockele-Uhr mit einer Woche Laufdauer von 10 cm und eine kleine Schottenuhr (ab 10 cm).

Rainer Kern schlug vor, anstelle der Gestellhöhe die Achsabstände des Gehwerks zum Maßstab für die Bestimmung des Uhrentyps zu machen. Denn bei einem Vergleich zahlreicher kleiner Schwarzwalduhren hatte er festgestellt, dass die Abstände der vier Hauptwellen innerhalb eines Uhrentyps weitgehend konstant sind.

In dem Buch „Die kleinen Schwarzwalduhren“ stellte Rainer Kern 2004 seine bahnbrechenden Erkenntnisse der interessierten Öffentlichkeit vor. An der Tatsache, dass nicht die Gestellhöhe, sondern nur die Achsabstände ein sicheres Merkmal zur Gattungsbestimmung der Schwarzwalduhren darstellt, kommt seitdem kein ernsthafter Sammler vorbei.

Schlüsselstück zur Uhrengeschichte

Initialen “JS” für Josef Sorg (jung)

Der Auslöser für Kerns umwälzende Erkenntnisse war die vorliegende Uhr. Bis heute ist sie die einzig bekannte Sorguhr mit 8-Tage-Werk geblieben. Und – was bislang nicht erwähnt wurde – sie stammt vom Uhrmacher Josef Sorg (jung) selbst, der als erster diese Werkform im Schwarzwald baute! Denn auf dem Stundenrad auf der Werkvorderseite sind seine Initialen JS eingegossen.

Wir sind sehr froh, dass die Witwe von Rainer Kern uns dieses absolute Spitzenstück zur Schwarzwälder Uhrengeschichte gegeben hat. Erworben wurde die Uhr mit Mitteln unseres Fördervereins. Vielen Dank für dieses tolle Weihnachtsgeschenk!

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