Kerzenwecker – gab es sie überhaupt?

Er zählt zu den Highlights unserer Sammlung: der Kerzenwecker. Er ist das einzig überlebende Exemplar einer ganz besonderen Uhrengattung. Anlässlich der Sommerwerkstatt zum Thema „Kerzenuhren“ ist das Museum den geschichtlichen Spuren des Kerzenweckers gefolgt. Dabei stießen wir auf eine unglaubliche Geschichte!

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Kerzen zur Messung von Zeitspannen

Handschrift des 15. Jahrhunderts, am linken Rand das Maß für eine Stundenkerze

Kerzen werden häufig mit einer Angabe ihrer Brenndauer verkauft. So gibt eine „24-Stunden-Kerze“ mindestens einen Tag Licht. Kein Wunder, dass Kerzen mit definierten Brenndauer  bereits im frühen Mittelalter gelegentlich zur Einteilung des Tages genutzt wurden.

Spätestens im 17. Jahrhundert wurden Kerzen mit Strichen zu versehen, damit man absehen konnte, wie viel Zeit noch bleibt, bis sie erlöschen werden. Historische Exemplare von Kerzen mit Stundenmarkierungen sind aber nicht erhalten geblieben. Denn die Natur einer Kerze ist es, dass sie sich beim Abbrennen selbst vernichtet.

 

Kerzenwecker – die einzigen Relikte von Kerzenuhren

Was nach dem Abbrennen der Kerzen mit Stundenstrichen übrigt bleibt, sind Leuchter. Leider kann man diesen Halterungen meist nicht ansehen, ob sie früher eine dieser speziellen Kerzen enthielten. Eine Ausnahme bilden sogenannte „Kerzenwecker“, bei denen der Kerzenständer eine charakteristische Form hat, um ein Wecksignal zu geben. In die eigentliche Kerzenhalterung ist eine Glocke integriert. Am Auslösehebel der Glocke hängt ein Kettchen mit einer Nadel und ein bis zwei kleinen Gewichten.

Wie funktioniert ein Kerzenwecker?

Kerzenwecker, Inv. K-1441

Um sich von einem solchen Zeitmesser wecken zu lassen, wird zunächst die Kerze entzündet und die Nadel an der Flamme erhitzt. Der Dorn kann nun leicht in die Kerze mit Stundenmarkierungen gesteckt werden. Der Abstand zwischen Nadel und der Spitze der Kerze bestimmt die Zeitspanne, nach der das Wecksignal ertönen soll. Wenn nun die Kerze bis zur Nadel herunterbrannt ist, wird das Gewicht die Nadel aus dem weichen Wachs ziehen. Beim Herunterfallen setzt das Gewicht die Glocke in Gang und das Wecksignal ertönt.

Aber ist ein Kerzenwecker wirklich eine gute Idee? Machen wir einen Praxistest.

Im Praxistest durchgefallen

„Messer, Gabel, Schere, Licht, sind für kleine Kinder nicht.“ Dieser Merkspruch klärte Kinder früher über die Gefahren im Haushalt auf. Wobei „Licht“ anfangs noch nicht für Glühbirnen oder andere elektrische Leuchtstoffe stand, sondern für Gasbeleuchtung, Öl- oder Petroleumlampen und Kerzen. Auch heute noch bringen verantwortungsbewusste Eltern ihren Kindern bei, dass Kerzen niemals unbeaufsichtigt brennen dürfen.

Diese Regel zur Vermeidung von Bränden sollten tunlichst auch Erwachsene beherzigen. Selbst denen, die einen leichten Schlaf haben, kann nicht empfohlen werden einzuschlafen, ohne vorher alle brennenden Kerzen zu löschen. Nur leider funktioniert dann auch ein Kerzenwecker nicht mehr.

Wer hingegen eher riskiert, dass das Schlafzimmer Feuer fängt, als dass er auf seinen gemütlich flackernden Wecker verzichtet, wird dennoch seine liebe Not mit den praxisfernen Markierungen auf dem Wachs haben. Die Stundenzählung beginnt bei 11 Uhr und endet mit 6 Uhr. Wer mit den Hühnern zu Bett geht, dem nützt diese Skala wenig. Denn die Stundenziffern erlauben es einfach nicht, die Kerze vor 10 Uhr abends anzuzünden.

Auch für den Mittagsschlaf eignet sich die Funzel nicht. Wer sich z. B. um 1 Uhr mittags hinlegen möchte, müsste die Kerze ein paar Stunden vor dem Nickerchen anzünden, damit sie hoffentlich die richtige Markierung erreicht hat, wenn das Gähnen einsetzt. Und wer dann keine ausgewachsene Siesta, sondern nur einen kurzen Powernap halten will, hat die Kerze verschwendet.

Sinnvoller wäre es, eine Kerze zu verwenden, die keine Zahlen, sondern nur Stundenstriche im Abstand von 60 Minuten aufweist. Aber wehe, wer sich bei der Anzahl der Zwischenräume verzählt oder verrechnet. Ein zu frühes oder zu spätes Wecken wäre unweigerlich die Folge.

Links unten zwei Beispiele für Stundenkerzen sowie eine Kerzenuhr. Stich aus dem Uhrmacherlehrbuch von Bobynet, 1644.

Geschichte der Kerzenuhren

Der Praxistext hat es gezeigt: Sich von einer Kerze wecken zu lassen, ist keine gute Idee. Dennoch ist eines sicher: Kerzen nutzte man zur Zeitmessung in China bereits vor 1400 Jahren und in Europa vor etwa 1000 Jahren. Doch alle historische Berichte über Kerzenuhren und Stundenkerzen haben eines gemeinsam: An keiner Stelle wird erwähnt, dass diese Zeitmesser auch zum Wecken verwendet wurden.

Der Kerzenwecker war ursprünglich ein Kerzenständer für Wirtshäuser

Kerzenständer, sogenannter “tavern candlestick”, 1. Hälfte 19. Jahrhundert

Wer sich unser einzigartiges Stück anschaut, wird feststellen, dass einzig die Gewichte des Kerzenweckers nicht aus Messing, sondern aus einem anderen Material, wahrscheinlich aus einer Bleilegierung, gefertigt wurden. Vielleicht sind diese ja erst später zusammen mit der Nadel an den Kerzenständer montiert worden? Ohne die Nadel und die Gewichte wäre der Kerzenwecker nichts anderes als ein Kerzenständer. Eine Frage aber bleibt: Wozu wurde die Glocke benötigt – wenn nicht zum Wecken?

Bei der Suche nach Vergleichsstücken stößt man schnell auf Kerzenständer mit Glocke, die im 19. Jahrhundert vor allem in englischen Gasthäusern üblich waren. Diese „tavern candlesticks“ lieferten die schwache Beleuchtung für die Wirtshaustische in einer Zeit, als noch keine Gasbeleuchtung oder gar elektrischer Strom verfügbar war. Die Gäste betätigten die Glocke, um sich in der häufig ausgelassenen Stimmung in der Kneipe Gehör zu verschaffen und eine Bestellung aufgeben zu können.

Wahrscheinlich handelt es sich auch bei unserem „Kerzenwecker“ ursprünglich um einen speziell für die Bedürfnisse von Gasthäusern gefertigten Leuchter. Offenbar war diese Art von Gerät in Deutschland eher ungebräuchlich oder aber ihre Funktion war kurz vor dem Ersten Weltkrieg bereits weitgehend vergessen. Denn nur so ist zu erklären, dass man den Leuchter für einen „Kerzenwecker“ hielt.

1914 erstmals aufgetaucht

Erstmals berichtete die Deutsche Uhrmacher-Zeitung kurz vor dem Ersten Weltkrieg, dass der Uhrmacher August Jesper einen „Kerzenwecker“ besitze. Wer das Kettchen samt Gewichten und Nadel zum „tavern candlestick“ hinzugefügt hatte, verrät der Artikel im größten deutschen Fachorgan für Uhrmacher nicht. Ob es Jesper selbst war oder ob sich jemand mit dem gutgläubigen Uhrmacher einen Scherz erlaubt hat – wir wissen es nicht. Offenbar hat Jesper diesen zum „Wecker“ ergänzten Leuchter nicht im Praxistest erprobt, denn sonst wäre ihm schnell klargeworden, dass seine Erklärung wohl nicht stimmen könne.

Artikel in der Deutschen Uhrmacher-Zeitung 1914, die Geburtsstunde des “Kerzenweckers”

Fakt ist, dass der Bericht über den angeblichen „Kerzenwecker“ bis heute ungeprüft für bare Münze genommen wurde, auch von den Verantwortlichen im Hellmut-Kienzle-Uhrenmuseum in Schwenningen. Die Firmensammlung der Kienzle Uhrenfabriken kaufte dieses einzigartige Stück 1961 von Jespers Erben an. Mit dem Erwerb des Hellut-Kienzle-Uhrenmuseums durch das Land Baden-Württemberg gelangte der „Kerzenwecker“ Mitte der 1970er Jahre ins Deutsche Uhrenmuseum, wo diese „Rarität“  stolz präsentiert wurde.

Erst die Recherchen zu der Sommerwerkstatt zum Thema „Kerzenuhren“ ergaben, dass es sich bei diesem sehr speziellen Wecker um einen Fake handelt. Denn es gibt bis heute nur dieses eine “historische” Exemplar, aber zahllose „tavern candlesticks“ aus dem frühen 19. Jahrhundert.

Weil aber Fälschungen in unserem Museum nichts zu suchen haben – auch wenn sie noch so populär sind -, haben wir uns entschieden, den “Kerzenwecker” ab sofort nicht mehr zu zeigen. An seiner Stelle befindet sich nun eine moderne Nachbildung einer Stundenkerze, denn die hatte es ja früher nachweislich gegeben.

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