„Vorm Museum steht ein blöder, sinnverwirrter Oktaeder“

Zeitgenössische Kunst ist oftmals ungeliebt, vor allem wenn sie im öffentlichen Raum steht. Auch der sogenannte „Kunsttempel“ vor dem Deutschen Uhrenmuseum in Furtwangen gab und gibt viel zu reden. Letzthin wurde er gar mit einem Spottgedicht bedacht, das mit obigen Zeilen beginnt. Doch so viel Häme hat das Werk nicht verdient. Deshalb im Folgenden der Versuch einer Ehrenrettung:

Wie bei staatlichen Bauvorhaben üblich wurde auch 1989 beim Ausbau des Deutschen Uhrenmuseums ein „Künstlerischer Beitrag“ eingeplant. Gewünscht wurde, dass „zwischen Inhalt des Museums und dem Kunstbeitrag ein Zusammenhang hergestellt“ werde.

Aus fünf eingereichten Projekten wurde 1990 der Entwurf von Bernhard Härtter ausgewählt. Dieser sah ein sechseckiges, verglastes Häuschen vor, darin ein minimal schwingendes Pendel sowie zwei über dem Boden schwebende Stühle. In einem kurzen Text schrieb Härtter: Das Pendel stehe „kurz vor seinem Stillstand“, und die Stühle repräsentierten die „soziale Dimension“.

Ein sich drehendes Ei und kaputte Holzstühle – Bernhard Härtters fertige Arbeit von 1992. Foto: Vermögen und Bau Baden-Württemberg.

Zwei Jahre später lieferte Bernhard Härtter seine Arbeit ab. Diese hatte sich inzwischen verändert. Aus dem vorgesehenen Pendel war ein drehendes Ei geworden. Und zwei kaputte Holzstühle hingen nun frei im Raum, gehalten von gebogenen Rohren. Die Kunstkommission kam deshalb im November 1992 zusammen und beurteilte eine Probeinstallation des geänderten Werks vor Ort. Das Protokoll der anschließenden Beratung zeugt von einiger Verunsicherung: Ein Mitglied meinte, „die ursprüngliche Arbeit sei besser, geheimnisvoller gewesen.“ Ein anderer hingegen sah „eine sehr positive Weiterentwicklung“ und „eine neue Stufe der Erkenntnis“. Ein Dritter hob „die gedankliche und konzeptionelle Präzision der Arbeit hervor“. Auch von einem „interessanten Gestänge“ war die Rede. Beanstandet wurden lediglich „formal unbefriedigende Details der technischen Anschlüsse“. Schlussendlich wurde die geänderte Arbeit mit sechs Ja-Stimmen bei einer Enthaltung genehmigt. Die Sitzung endete mit der Hoffnung, „dass die richtige Entscheidung getroffen wurde“.

Ein verändertes Kunstwerk in neuen Zeiten

Bei der folgenden Präsentation der Arbeit war auch der Künstler anwesend. Der Schwarzwälder Bote berichtete ausführlich über dessen Aussagen. Härtter begründete die Abwandlung des Entwurfs von 1989 mit dem Zusammenbruch des Ostblocks. Er verwies auf „die Völkerwanderung, die europäische Sozialverschiebung durch die Ereignisse im Osten“. Sein erster Entwurf sei eher eine „technische Installation“ gewesen, das neue Werk zeige dagegen, „dass das technische und euphorische Bild der Raumfahrt, wie man es aus den sechziger Jahren kenne, inzwischen desillusioniert sei.“ Und während beim ersten Entwurf noch ein Pendel leicht geschwungen habe, sei nun das scheinbar stillstehende Ei eine „eher absurde Angelegenheit“. Der „Gag“ sei, dass der Antriebsmotor des Eis sichtbar sei. Das Werk sei „ein politisches Bild über unsere Welt“.

Härtters Aussagen zeigen, dass er die ursprünglichen Bezüge seiner Installation radikal verschärft hatte. Die Stühle, welche die soziale Dimension repräsentieren, waren im Projekt von 1990 nur leicht abgehoben gewesen. Jetzt waren sie frei fliegend und sollten aufzeigen, dass das soziale Bezugssystem abhandengekommen war. Analog auch beim zunächst vorgesehenen Pendel: Dieses war ein Verweis auf das Foucaultsche Pendel gewesen, mit dem die Erddrehung vorgeführt werden kann. Bei Härtter war es jedoch „kurz vor seinem Stillstand“. Das Ei in der neuen Fassung sah nun tatsächlich stillstehend aus, drehte sich dabei jedoch schnell, befand sich quasi in „rasendem Stillstand“. Unter diesem Titel hatte der französische Philosoph Paul Virilio 1992 diagnostiziert, dass die technologische Beschleunigung zum Niedergang, wenn nicht zur Auslöschung unserer Zivilisation führen werde.

Reaktionen in der Öffentlichkeit
Karikatur aus dem Südkurier von 1992

Die Kunstkommission betonte, dass der neue Entwurf Härtters eine „eindeutige Weiterentwicklung“ sei. Taktisch etwas ungeschickt hieß es aber auch, dass man sich besonders freue, dass das Kunstwerk in Furtwangen stehe, wo man „so etwas nicht vermuten würde“. Und auf Nachfrage fügte die Kommission noch hinzu, dass man „bewusst nicht nach Meinungen gefragt“ habe, Kunst ließe sich nicht demokratisieren. „Nur wer etwas von Kunst verstehe und über entsprechende Grundlagen verfüge, könne urteilen“.

Artikel im Baaremer Anzeiger von 1992 zum neuerrichteten “Zeit-Tempel”

Das hörte man in Furtwangen natürlich nicht gern und es brach eine wilde Polemik in der Presse los. Ein selbsternannter „Provinzler“ beklagte sein „Armes, armes Furtwangen!“, ein fetter Titel fragte: „Kunst oder Sperrmüll?“, und das Furtwanger Narrenblatt 1993 machte aus dem „Tempel der Künste“ kurzerhand ein öffentliches Pissoir. Die Furtwanger empörten sich über die verweigerte Mitsprache, über den Preis von 80.000 Mark, vor allem aber über die fehlende „Aussage“ des Kunstwerks. Im April 1993 wurden in einer Nacht- und Nebelaktion gar Dutzende alter Stühle vor dem „Zeittempel“ aufgeschichtet.

Auch der Schwarzwälder Bote berichtete 1992 über die “Protestaktion”.

Einzig Helmut Kahlert, Professor an der Fachhochschule und Stadtrat, mahnte mit Verweis auf das Dritte Reich: „Intoleranz gegen Kunst und Intoleranz gegen Menschen kommen aus der gleichen Wurzel.“ Kahlert sah auch den technikkritischen Ansatz der Arbeit: „Während also das perfekte Stahlei sich dreht und dreht und dreht, wird die Umgebung für den Menschen immer unwohnlicher, wird zum Abfallprodukt.“ Und Kahlert besorgte sich über „das mögliche Auseinanderdriften von Machbarkeit und Menschlichkeit“.

Auch in den folgenden Jahren ließ die Polemik gegen das „Haus des Maschinisten“, wie das Werk offiziell heißt, nicht nach. Vielleicht ist nun aber, nach 30 Jahren und den immer sichtbareren Folgen des Klimawandels, der Nitratüberschüsse und des Plastikmülls die Zeit gekommen, die Arbeit von Bernhard Härtter zu würdigen?

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