Meerjungfrauen verzweifelt gesucht

Für den einen sind sie Kult, für den anderen lächerlich – Uhren von Schmid-Schlenker aus Bad Dürrheim. Um 1960 hatte sie die Nachfrage nach verspielten Souveniruhren auf die Spitze getrieben. Ein Highlight: Mermaid – die Drehpendeluhr mit zwei Meerjungfrauen. Nach langer Suche konnte das Deutsche Uhrenmuseum eine dieser legendären Uhren ergattern. Leider fehlen die beiden Wasserwesen. Helfen Sie uns, ein vollständiges Stück zu finden!

Die Uhr

Der Clou gegenüber anderen Drehpendeluhren war das üppige Dekor mit einer heilen Wasserwelt. Die untere Hälfte des Kunststoffgehäuses der Meerjungfrauen-Uhr zeigt das Leben unter der Oberfläche. Gravuren im Gehäuse erzeugen durchscheinende Schlingpflanzen, und drei Fische scheinen im kristallklaren Wasser zu schwimmen. Auf dem Wasser bewegen sich vier Seerosen – als Gewichte für das Drehpendel. Schade nur, dass die beiden Seejungfrauen fehlen, die links und rechts die Pfeiler verdecken, mit denen das Uhrwerk gehalten wird.

… und wie sie heute ohne Meerjungfrauen aussieht.
Tischuhr Mermaid
Die komplette Uhr in einem Prospekt von ca. 1960 …

Wunschbilder von Liebe und Sexualität

Erlösung der Meerjungfrau durch die männliche Liebe einerseits…

Wenn man genauer hinsieht, entdeckt man in der intakten Fauna und Flora jede Menge Doppelbödiges. Seerosen sind nicht nur schön anzuschauen, sondern auch gefährlich – wenn man versucht, sie zu pflücken. Da kann man leicht aus dem Paddelboot kippen.

Ebenso sind Meerjungfrauen mehr als nur hübsche Mädchen, die sich danach sehnen, von einem Prinzen erlöst zu werden. Männern können Nixen mit ihren weiblichen Reizen gefährlich werden. Manchmal rauben die Wasserwesen  ihren Verehrern buchstäblich das Bewusstsein, indem sie diese in ihr todbringendes Reich locken.

Die Uhr und die 1950er Jahre

….todbringende Lockung der Nixe andererseits.

Man könnte diese Uhr in ihrer etwas hilflosen Dekoration als infantil belächeln und dann links liegen lassen. Aber damit vergäbe man sich die Chance, die heile Welt der Uhr als das zu begreifen, was sie auch ist: Ausdruck der Restaurationsepoche in den 1950er Jahren.

Die Realität in der Bundesrepublik war ja eher düster. Viele wollten damals die Verantwortung für die Verbrechen im Zweiten Weltkrieg vergessen sowie den Verlust der „Heimat“ durch Vertreibung und Zerstörung. Die materielle Not der Nachkriegszeit war noch nicht überwunden.  Gleichberechtigung von Mann und Frau in Sexualität und Beruf? Fehlanzeige.

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Gerade indem diese Uhr diese triste Wirklichkeit ausspart, ist sie ein typisches Zeichen der Adenauer-Ära. Denn damals kamen Touristen in den Schwarzwald, um  die als bedrohlich empfundene Welt der Moderne zu vergessen,  die ihren Ausdruck im “Moloch Großstadt” fand. Sie sehnten sich nach einer ländlichen Idylle mit klarer gesellschaftlicher Ordnung, die das Kino in den meisten Heimatfilmen vorgaukelte. Für dieses Wunschbild einer überschaubaren Welt, wo das Gute am Ende siegt und das Böse unterliegt, produzierte Schmid-Schlenker seine Uhren. Wie unfreiwillig durchsichtig dieser Traum einer heilen Welt in der Rückschau aber ist, zeigt die Uhr mit ihren gar nicht so harmlosen Wasserwelt.

 

 

 

Bildnachweise:

1, 2, 6: Deutsches Uhrenmuseum, Archiv;

3: Deutsches Uhrenmuseum;

4: Isobel Lilian Gloag, The Knight and the Mermaid, Zeichnung, um 1890, (Gemeinfrei, Bildquelle)

5: Jakob Götzenberger, Die Nixe des Waldsees, Fresko in der Trinkhalle Baden-Baden, 1844, Foto von Gerd Eichmann, 2010 (Gemeinfrei, Bildquelle)

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