Das Geschäft seines Lebens. Die “Wunderuhr” von Karl Ketterer

Mitte des 19. Jahrhunderts war das  rückständige Land Baden bitterarm. So hatte auch Karl Ketterer aus St. Peter nicht genügend Geld, um eine Familie zu gründen. Er verließ seine Verlobte Wilhelmine Rut, um in der neuen Welt sein Glück zu machen. Lesen Sie heute, wie diese Reise dank einer von ihm selbst gebauten Uhr ein gutes Ende nahm.

Um 1910 hatte Karl Ketterer (1838-1922) seine Lebensgeschichte aufgezeichnet. Lesen Sie hier die fast unglaubliche Erzählung vom Bau der Uhr.

Astronomische Uhr im Straßburger Münster nach dem Umbau durch Jean-Baptiste Schwilgué 1843, kolorierter Kupferstich 1863.

Nach seiner Ankunft in den Vereinigten Staaten wurde Ketterer Bergmann im Kohlerevier von Pennsylvania. Dort erzählte ihm ein anderer deutschstämmiger Grubenarbeiter von der großen astronomischen Uhr im Straßburger Münster:

„Die Schilderung dieses Kunstwerks mit seinem wunderfeinen Mechanismus wirkte so tief auf mich ein, daß ich in der folgenden Nacht vor Aufregung kein Auge schloß. Immer war mein sinnender Geist bei der kunstvollen Uhr, und es erwachte in mir das heiße Verlangen, auch eine ähnliche Uhr zu verfertigen.

Weil ich die Hauptschwierigkeiten, die Schaffung des Räderwerks, [als Laie] nicht gleich überwinden konnte, verlegte ich mich auf die anderen Arbeiten für die Uhr. So entstanden in der freien Zeit im Laufe eines Jahres die zwölf Apostel, Christus und der Hahn. Mit dem Schnitzen ging es gut vonstatten.

Nun mußte ich wieder ans Räderwerk der Uhr denken. Keine gewöhnliche, sondern eine kunstvolle Uhr sollte entstehen, eine Uhr, die durch Viertel- und Stundenschlag die täglichen Zeiten, die außerdem noch die Wochentage, Monate und Mondphasen angeben sollte. Schlag 12 Uhr sollten die Apostel am Heiland vorbeigehen, also sich vor ihm verneigen, mit Ausnahme des Judas. Auch der Hahn mußte zur bestimmten Zeit seinen Ruf ertönen lassen.“

Nach dreijähriger Arbeit und harten Entbehrungen war die Uhr um 1873 fertiggestellt. Ketterer verdiente seinen Lebensunterhalt nun mit der Vorführung der Uhr:

Karl Ketterer mit seiner Wunderuhr, Foto, um 1873 (Inv. 100671)

„Es begann für mich ein Wanderleben. War sie in einer Stadt aufgestellt und die nötige Reklame gemacht, so wurde sie dem Publikum gegen Eintrittsgeld erklärt und in Tätigkeit vorgeführt. Doch rentierten sich diese Reisen nicht so, als ich mir vorgestellt hatte. Den guten Einnahmen standen auch große Ausgaben gegenüber.

Nachdem ich 52 Städte so bereist hatte, wurde ich des Wanderns müde und entschloß mich, wenn auch schweren Herzens, meine Uhr gegen gute Bezahlung zu verkaufen.

Ich hatte Glück. Zwei Deutschamerikaner, Gebrüder Hertenstein in Philadelphia, erwarben meine Uhr für 6000 Dollar, das sind über 24000 Mark nach deutschem Geld. Der Zweck meiner Reise nach Amerika war erfüllt.

Im Oktober 1874 schon trug das Schiff einen hoffnungsvoll in die Zukunft blickenden, kräftigen jungen Deutschen, dessen Gesicht von hellblondem Vollbart umrahmt war, wieder nach Deutschland in die Heimat zurück.

Karl Ketterer, Ölstudie von A. G. Knittel, 1917 (Foto im Nachlass Gerd Bender. Archiv Deutsches Uhrenmuseum)

Dichter Nebel lag über Freiburg, als ich gegen 8 Uhr abends eintraf. Sofort begab ich mich nach Hummels Weinstube am Münsterplatz, denn dort sollte ich meine Wilhelmine nach fünfeinhalb Jahren wiedersehen. In der Wirtsstube musterte ich die versammelten Gäste, konnte aber leider die nicht finden, die mein Herz so sehnsüchtig verlangte. Da öffnete sich plötzlich die Türe und herein trat Wilhelmine. Ich konnte mich nicht mehr halten, sprang auf, eilte auf sie zu, umarmte sie vor allen Gästen und küßte sie wiederholt. Das war ein Wiedersehen, so rührend, daß selbst den Anwesenden, die durch die Wirtsleute die näheren Umstände erfuhren, die Tränen in den Augen standen.

Noch am gleichen Abend, es war am Vorabend von Allerheiligen, fuhren wir beide im Wagen hinauf nach St. Peter. Hier gedachten wir unseren Wohnsitz zu nehmen. So kam es auch. Bald waren wir Mann und Weib.“

Werkstatt von Karl Ketterer in St. Peter (Foto aus Nachlass Bender, Archiv Deutsches Uhrenmuseum)

1879 erbaute Ketterer ein eigenes Haus. Dort unterhielt er eine Schlosser- und Mechanikerwerkstatt. Ketterer starb im März 1922 mit 88 Jahren. Seine “Wunderuhr” ist heute verschollen.

Die vollständige Version seiner Lebensbeschreibung finden Sie in: Gerd Bender: Die Uhrenmacher des hohen Schwarzwaldes, Bd. 2, Villingen 1978, S. 632-642.

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