Ein echter Chronograph für 45 D-Mark

1969 entwickelte die DDR-Uhrenfirma “Ruhla” einen Chronographen mit stark vereinfachter Mechanik. Stolz behauptet die Patentschrift: “Mit wenigen mechanischen Mitteln wurde ein zuverlässiger Chronographenmechanismus auch für billige Gebrauchsuhren geschaffen.” Der neuartige Mechanismus bestand aus lediglich elf Teilen.

Armbanduhren mit Stoppfunktion, sogenannte “echte” Chronographen sind nicht zu verwechseln mit einfachen Stoppuhren. Mit einem Chronographen kann man nicht nur eine Zeitspanne messen, er zeigt daneben auch die laufende Tageszeit. Das Starten und Stoppen des Sekundenzeigers erfolgt ohne Störung des Uhrwerks.

Die ersten Armband-Chronographen wurden über die Krone gesteuert, doch bald bürgerte sich die Bauart mit zwei Drückern oberhalb und unterhalb der Aufzugskrone ein: Beim Druck auf den oberen Drücker startet der Sekundenzeiger, beim nochmaligen Drücken stoppt der Zeiger. Dies kann man mehrmals hintereinander machen und so auch unterbrochene Ereignisse messen. Vor dem Start einer neuen Messung betätigt man den unteren Drücker: Der Sekundenzeiger springt auf Null.

Chronograph Longines, gesteuert über die Krone, Schweiz um 1920. (Inv. 47-2723)
Chronograph Dubey & Schaldenbrand mit Drückern, Schweiz um 1955. (Inv. 47-2796)

 

 

 

 

 

 

 

 

Doch dazu ist ein enormer technischer Aufwand nötig. Armbanduhrwerke mit Chronograph bestehen aus vielen, teilweise sehr komplizierten Teilen. Damit die kleinen und feinen Uhrwerke zuverlässig und dauerhaft funktionieren, braucht es eine hochwertige Ausführung der Teile. Preisgünstige Modelle waren entweder unzuverlässig und schnell defekt oder aber sie waren keine echten Chronographen.

Omega Speedmaster mit Kaliber 321, Schweiz 1967. (Inv. 2003-110)
Ruhla Chronograf mit Kaliber 24-35, Ruhla um 1975. (Inv. 2019-052)

 

 

 

 

 

 

 

 

Die neuartige Konstruktion aus der DDR war demgegenüber verblüffend einfach. Mit nur elf zusätzlichen Teilen konnte man ein normales Uhrwerk zu einem echten Chronographen erweitern. In Ruhla wurde damals auch ein preisgünstiges und zuverlässiges Stiftankerwerk gebaut, das Kaliber 24. Dieses diente auch als Basis für das Chronografenwerk. Als Kaliber 24-35 wurde es in wasserdichte Sportuhren eingebaut.

“Quelle-Preisknüller”. Ruhla Chronograf im Quelle-Katalog von 1976. (Archiv Uhrenmuseum)

Ruhla exportierte viele Uhren in die Bundesrepublik. Das Versandhaus Quelle verkaufte diese unter der Marke “Meister-Anker”. Im Quelle-Katalog von 1976 findet sich denn auch der Chronograph aus Ruhla als “Preisknüller” für nur 45 D-Mark. Der billigste Armband-Chronograph mit herkömmlichem Werk kostete demgegenüber DM 159.-, also mehr als dreimal so viel.

 

 

 

Das Zitat zu Beginn stammt aus dem Patent DE 1962315, angemeldet am 12. Dezember 1969.

 

Ein Kommentar zu „Ein echter Chronograph für 45 D-Mark

  1. Danke für den Artikel und die Infos. Ja, die Geschichte des Ruhla-Chronos ist schon speziell und Zeuge des könnerischen Improvisationswillens und Ingenieurskunst jenseits der Mauer.

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