Am 21. Juli 1969, vor 50 Jahren, betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond. Damit hatten die USA symbolisch den Mond erobert und fühlten sich als Sieger beim „Wettlauf zum Mond“.
Die Euphorie in den USA war riesig. So auch bei der Firma Helbros, einem Uhrengroßhandel in New York. Das Ereignis sollte mit einem Sondermodell gefeiert werden, welches die Zeit so anzeigt, wie sie auf dem Mond vergeht. Helbros hatte gute Kontakte zur Pforzheimer Uhrenfirma PUW. Dort machten sich die beiden Konstrukteure Walter Bareiß und Wolfgang Kröner an die Arbeit und entwickelten, aufbauend auf einer Idee des US‐Astronomen Kenneth Franklin, eine Armbanduhr für „Mondzeit“.
Doch wie vergeht diese? Wie hier auf der Erde geht auch dort die Sonne auf und unter, doch ein „Mondtag“ dauert über 700 Stunden, gut 29,5 Tage. Mit der herkömmlichen Anzeige der Zeit mittels Zeigern lässt sich das nicht vernünftig darstellen. Kenneth Franklin hatte deshalb die Idee, den Mondtag in 30 Teile zu schneiden, die „Lunes“, jeweils etwa 23,5 Stunden lang.
Diese „Lunes“ werden im Datumsfenster angezeigt und wie folgt weiter unterteilt:
1 Lunes = 24 Lunours (je ca. 59 Minuten)
1 Lunour = 100 Centilunours (je ca. 35 Sekunden)
1 Centilunour = 100 Millilunours (je ca. 0,35 Sekunden)
Diese drei Einheiten werden von drei Zeigern dargestellt, so wie wir es bei gewöhnlichen Uhren kennen.
Das ist zwar rechnerisch korrekt und die Uhr würde auf dem Mond auch laufen. Kenneth Franklin und die PUW-Konstrukteure haben aber nicht berücksichtigt, dass die menschliche Zeitwahrnehmung sich nicht auf „Mondzeit“ umstellen lässt. Der Astronaut Eugene Cernan beschrieb dies mit folgenden Worten: „Ich habe gesehen, wie die Zeit auf der Erde verstrich. Doch so, wie wir sie verstehen, hat Zeit uns auf dem Mond überhaupt nicht berührt.”
Was meinte Cernan damit? Neben der Sonne sieht man auf dem Mond auch die Erde. Diese verändert im Lauf des Mondtages ihre Lichtgestalt von vollständig beleuchtet bis ganz dunkel, genauso wie der Mond für uns. Dabei wandert sie aber nicht über den Himmel, sondern bleibt ruhig am Himmel stehen, dreht sich ganz langsam um sich selbst und leuchtet blauweiß strahlend im unermesslichen Schwarz des Weltalls.
Die Fotos der leuchtenden Erde, welche die Astronauten zurückbrachten, waren äußerst wirkmächtig. Der Philosoph Günther Anders schrieb in seinem Buch Der Blick vom Mond gar, „daß das entscheidende Ereignis der Raumflüge nicht in der Erreichung der fernen Regionen des Weltalls oder des fernen Mondgeländes besteht, sondern darin, daß die Erde zum ersten Mal die Chance hat, sich selbst zu sehen, sich selbst so zu begegnen, wie sich bisher nur der im Spiegel sich reflektierende Mensch hatte begegnen können.”
Als „Blue Marble“ (blaue Murmel) hat sich das Bild der leuchtenden Erde ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Es zeigt uns wie kaum ein anderes die Fragilität und die Unteilbarkeit unseres Lebensraumes. Und wirklich hat das Bewusstsein für ökologisches Wirtschaften seither zugenommen. Doch wie die Zeitanzeige der „Lunar Time Electric“ Armbanduhr zwar rechnerisch korrekt ist, aber ihren Zweck nicht erfüllt, so entpuppen sich auch viele gutgemeinte Schritte hin zu mehr Nachhaltigkeit als Rohrkrepierer.
Um das zu verstehen, hilft vielleicht ein Blick auf die psychische Entwicklung der Kinder. Ein entscheidender Moment passiert im sogenannten „Spiegelstadium“, wenn das Kind sich mit „jubilatorischer Verzückung“ erstmals in einem Spiegel erkennt. Es beginnt, Ich und Nicht Ich zu trennen und erfährt eine „durch die Aufnahme eines Bildes ausgelöste Verwandlung.“ (Jacques Lacan)
Doch da dieses Ich auf einem Bild (Imago) aufbaut, gehört es in die Sphäre des Imaginären. Oder, wie der Volksmund weiß: Der Geist ist willig…
Quellen:
Objektdossier Inv. 2018‐054
Zitate Cernan und Anders nach: Alexander C. T. Geppert: Die Zeit des Weltraumzeitalters. 223f
Zitat Lacan: https://de.wikipedia.org/wiki/Spiegelstadium
Ein Kommentar zu „Ein riesiger Sprung für die Menschheit?“