Uhren und Zeitgeist

Zwei schwarze Menschen vor einer Kulisse aus Palmen, gekleidet in Baströcke, bewaffnet mit Pfeil und Bogen. Ungläubig bestaunen sie einen menschengroßen Wecker. Ein Slogan verkündet: „Mauthe-Uhren. Zuverlässig – Weltbekannt“. Mit dieser Werbemarke folgte der deutsche Uhrenhersteller um 1910  dem herrschenden Zeitgeist des Kaiserreichs: die Vorstellung der eigenen, rassischen Überlegenheit gegenüber „dem Anderen“ .

Der wilhelminische Anspruch auf „Weltgeltung“

Kaiser Wilhelm I. (1797-1888)

1884/85 hatte Kaiser Wilhelm I. Gebiete in Afrika und im Pazifik unter den „Schutz des Reiches“ gestellt. Das noch junge Deutsche Reich wollte im Wettbewerb um Kolonien den anderen Großmächten nicht nachstehen. Mit kolonisierten Gebieten in Afrika, Nordostchina und im Pazifik zählte es bald zu den flächenmäßig größten Kolonialreichen der Welt.

 

Deutsche Reichs-Colonial-Uhr, Badische Uhrenfabrik, um 1904

Unter Kaiser Wilhelm II. erlebte die deutsche Kolonialpolitik ihren Höhepunkt: Im Zeichen des Imperialismus wurden der Wunsch nach einem deutschen „Platz an der Sonne“ zum festen Bestandteil der öffentlichen Diskussion. Reichs-Colonial-Uhren verkündeten nun die markigen Sprüche des Kaisers: „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser“ oder „Kein Sonnen-Untergang in unserem Reich“.

 

“…ein Kulturtriumph – selbst im dunklen Afrika “Dalli” höchster Trumpf!”

Ausschnitt aus Katalog der H.A.U. (1928), Modell “Neger”

Teil der Propaganda war auch die Verbreitung klischeehafter Vorstellungen über Menschen anderer Hautfarbe. Dieses Bild war durch die vermeintliche kulturelle Überlegenheit der “weißen Rasse” geprägt.  Diese Vorstellungen prägten nicht nur politische Äußerungen, sondern sickerten auch in den Alltag ein, wie eingangs die Werbemarke der Friedrich Mauthe GmbH zeigte.

Stunden, Minuten, Sekunden – Das überlegene Zeitsystem?

Werbemarke, Friedrich Mauthe, Schwenningen um 1910

Doch auch ein ganz anderer Aspekt schwingt in dieser Werbemarke mit: Das ungläubige Staunen der Schwarzen über den Wecker spielt darauf an, dass mechanische Uhren vor der Kolonialisierung auf dem afrikanischen Kontinent kaum verbreitet waren. Erst Missionare und Kolonialherren brachten ihre eigenen Zeitmesser und damit verbundene Zeitvorstellungen mit. Gleichzeitig lag die „Herrschaft über die Zeit“ in ihrer Hand. Diese „Chronometrisierung“ überlagerte und verdrängte die Zeitvorstellungen und Zeitsysteme der indigenen Bevölkerung. Damit wirkt die Kolonisierung durch Uhr und Zeit bis heute nach.

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