Die „deutsche“ Taschenuhr

Man findet sie in den Krabbelkisten auf jedem Flohmarkt, billige Taschenuhren „Made in Germany“. Die meisten Uhrensammler gehen daran achtlos vorbei. Diese Uhren gelten nicht als sammelwürdig. Doch das ändert sich vielleicht bald, denn Eduard C. Saluz vom Deutschen Uhrenmuseum hat die Geschichte der „deutschen“ Taschenuhr aufgearbeitet. Und diese ist sehr interessant.

Die technische Basis

Was zeichnet die „deutschen“ Taschenuhren aus? Sie besitzen, wie auch die Roskopf-Uhren aus der Schweiz oder die „Dollar Watches“ aus den USA, eine preisgünstige Stiftenhemmung. Sie waren etwas teurer, dafür aber gut und dauerhaft.

Taschenuhr „Fearless“ mit Figurenautomat, um 1895

Zwei Pioniere

Die „deutsche“ Taschenuhr hat zwei Wurzeln: Eine in Thüringen, wo die Metallwarenfabrik der Gebrüder Thiel in Ruhla 1892 eine enorm billige, trotzdem „richtig gehende“ Taschenuhr entwickelte. (Siehe Blog-Artikel über die “Fearless” Taschenuhr.)

Die zweite Wurzel der „deutschen“ Taschenuhr liegt im Schwarzwald.

Die „Jahresuhrenfabrik“ von August Schatz in Triberg kopierte um die gleiche Zeit unverfroren kleine Tischührchen der us-amerikanischen New Haven Clock & Watch Co. Und wie jene machte auch Schatz aus diesem Ührchen eine klobige „Taschenuhr“, indem er keine Füßchen, sondern nur eine Öse montierte.

Andere ziehen nach

Tischührchen mit Taschenuhr, hergestellt für B. N. Tandon & Co., Cawnpore (Kanpur, Indien). Thomas Haller, Schwenningen um 1905.

Bald folgte die Konkurrenz, vor allem aus Schwenningen. Und aus den unhandlichen ersten Modellen wurden schon bald hübsche und brauchbare Taschenuhren. Getreu dem Motto „gut und billig“, das sich schon auf Schwarzwälder Wanduhren des 19. Jahrhunderts findet. Und so berichtete die „Deutsche Uhrmacher-Zeitung“ 1934: „Wenn von «deutschen» Taschenuhren die Rede war, so hat man […] viele Jahre lang darunter nur die billigsten Uhren mit Stiftankerhemmung verstanden und diese Bezeichnung als Gattungsbegriff angewandt.“

Die Jahresproduktion lag in den 1920er Jahren bei rund vier Millionen Stück, wovon die Hälfte exportiert wurde. Und noch in der Nachkriegszeit wurden sie in West- und Ostdeutschland in größeren Mengen hergestellt.

Neuerscheinung 2019: E. Saluz: Stiftanker-Taschenuhren aus Deutschland.

Das neue Buch des Deutschen Uhrenmuseums zeigt mit rund 150 verschiedenen Modellen von 20 Firmen erstmals die ganze Vielfalt der „deutschen“ Taschenuhren.

Eduard C. Saluz: Stiftanker-Taschenuhren aus Deutschland. 224 S. ca. 600 Abb. € 30,00. Erscheint Anfang 2019

Ein Kommentar zu „Die „deutsche“ Taschenuhr

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