Echt mittelalterlich?

Sommer, Sonne, gutes Wetter: Eigentlich wäre nun die Saison der beliebten „Mittelaltermärkte“. Ob diese Wanduhr wohl den Beifall des Publikums erhalten würde? Sie ist auf jeden Fall authentisch – zumindest für das Bild vom Mittelalter vor über hundert Jahren.

 

Die Covid-19-Pandemie unserer Tage trübt natürlich die Freude am historischen Spiel. Hilflosigkeit gegenüber Infektionskrankheiten schien bis vor Kurzem noch ein Phänomen der weit zurückliegenden Vergangenheit zu sein. “Living History” beschäftigt sich dagegen mit den angenehmeren Aspekten früherer Zeiten, wie der Darstellung von Kultur und Kunsthandwerk. Und natürlich dürfen Schaukämpfe nicht fehlen, um dem Publikum die “martial arts” des Mittelalters vorzuführen.

Das Bild vom romantischen Mittelalter Ende des 19. Jahrhunderts: The Arming and Departure of the Knights, Wandteppich aus dem Gralszyklus, Edward Burne-Jones und William Morris, Wolle und Seide auf Baumwolle, 1890er Jahre.

Die Beliebtheit der Zeit der Ritter und Burgen ist nicht neu. Schon seit dem 19. Jahrhundert wird diese Epoche gerne verklärt und idealisiert. Sie eignete sich gut als Gegenentwurf zum zunehmend industriell geprägten Leben. Bis heute stehen sich die Bilder vom „romantischen Mittelalter“ und vom „finsteren Mittelalter“ gegenüber – auch wenn es diese Extreme so nie gegeben hat.

Ritterromantik in der Uhrenindustrie

Wanduhr mit Dekor aus ritterlich anmutenden Waffen und Rüstungsgegenständen, Japy, Beaucourt, um 1900 (Inv. Nr. 44-0687)

Die Lust am Historischen griff auch die Firma Japy mit einer Wanduhr auf, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstand. Mit Dreieckschild, gekreuzten Stangenwaffen, Panzerhandschuhen und natürlich den an Ketten hängenden Morgensternköpfen gibt sich die Uhr durchaus martialisch. Gleichzeitig bildet sie einen beschaulichen Kontrast zur Kriegsführung um 1900, als Maschinengewehre die neuen Wunderwaffen waren.

Um 1900 war Japy eines der größten Unternehmen im Bereich der Metallwarenproduktion und stellte hauptsächlich emaillierte Haushaltsgegenstände her. Doch seine Ursprünge hatte es in der industriellen Uhrmacherei. 1777 gründete Frédéric Japy in Beaucourt nahe Belfort eine Fabrik für rohe Taschenuhrwerke, doch das wachsende Unternehmen dehnte seine Produktpalette im Laufe der folgenden 150 Jahre auf nahezu alle Bereiche der Metallwarenproduktion aus: Töpfe, Schreibmaschinen, Motoren oder Fahrräder, Japy konnte fast alles liefern.

Arbeiterinnen der Firma Japy in der Stahlhelmproduktion, Photographie um 1915

Großuhren kamen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ins Produktportfolio. Ob aufwendige Tischuhren oder simple Blechwecker, für jede Preisklasse war etwas dabei. Im Ersten Weltkrieg musste Japy dann echte Rüstungsgüter herstellen: Anstatt romantisch verklärter Wanduhren wurden nun Stahlhelme gefertigt.

Das Unternehmen der Familie Japy bestand über 200 Jahre. Die breite Produktpalette konnte immer wieder an die Marktlage angepasst werden und die Nachfrage nach Metallwaren war immer vorhanden. Erst die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen Ende des 20. Jahrhunderts brachten das Ende für die Firma, die 1979 das letzte Japy-Werk schließen musste.

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