Zifferblätter, die alle Zeiten rund um den Globus anzeigen, dazu bewegliche Figuren zum Staunen. Seit über 60 Jahren gehört die Kunstuhr von August Noll zu den Vorzeigestücken des Uhrenmuseums. Ein Schaustück war sie schon immer: Ende des 19. Jahrhunderts reiste sie Zehntausende von Kilometern durch Europa und beeindruckte dabei Adel und Volksfestbesucher.
Ab 1888 verdiente der junge August Noll (1865-1938) mit dieser Kunstuhr seinen Lebensunterhalt, die er “nach fünfjähriger Arbeit vollendet “ hatte. Eine Ankündigung in der Schwenninger Neckarquelle vom 3. 1. 1888 nennt August Noll zusammen mit Adolf Häusle als Schwarzwälder Uhrenmacher. Sie behaupten kühn, dass das Meisterwerk die „berühmte Straßburger Münsteruhr an kunstvollem Mechanismus und Figurenreichtum“ überträfe.
Seine Uhr bietet bis heute eine Mischung aus Holzfiguren mit ihren erbaulichen Geschichten, dazu Musik zum Mitsingen, fröhlicher Unterhaltung mit Kuckuck und Hahn, sowie Wissensanspruch mit Weltzeituhr und Erdglobus. Die Kunstuhr, inklusive aller jahreszeitlicher Funktionen, hob sich in einem Punkt von anderen reisenden Schauuhren ab: Sie wurde vollautomatisch gesteuert, und zwar über eine Stiftwalze. Das „ruhige und sichere” Funktionieren dieser Schaltung lässt August Noll sich von Uhren-Autoritäten bestätigen.
Aus den Unterlagen im Museum lässt sich rekonstruieren, wie August Noll arbeitete: Ein bis zwei Wochen, manchmal auch bis zu zwei Monate, gastierte er mit der Weltuhr an einem publikumsträchtigen Ort. Vorab warben Anzeigen oder Zeitungsartikel für die Attraktion. Begleitet wurde er stets von seiner Frau Therese oder deren Bruder August Mohl.
Die Publikumsvorstellung dauerte eine knappe halbe Stunde. Vermutlich erläuterte August Noll die Funktionen und würzte sie mit einigen Anekdoten. Üblicherweise gab es fünf bis sechs feste Vorführungen am Tag, manchmal zusätzliche am Abend. Dazu bot das Ehepaar Noll Info-Broschüren an.
Illustre Referenzen sind die Besuche adeliger Persönlichkeiten: österreichische Erzherzöge und Prinzessinnen von Bayern, König Georg von Sachsen und König Carol von Rumänien. Sie zeigten sich erstaunt, hochinteressiert und sprachen höchste Anerkennung aus. Ihre Sekretäre bestätigten dies schriftlich zum Abdruck.
Reiserouten der Nolls und ihrer Weltuhr
August Noll stammt nicht aus einer Schausteller-Familie, seine Eltern waren Landwirte. Hat er tatsächlich über Jahrzehnte hinweg von seiner technischen Leistung in der Jugend gelebt? Wo stellte er seine Uhr aus? Auf die Reiseverläufe gibt es einige Schlaglichter:
– 1888-89 bereist der junge August Noll zunächst Süddeutschland: Esslingen (Kugelscher Saal), das Gewerbemuseum in Ulm, die rund zweiwöchige Dult von Stadtamhof-Regensburg. Kurz darauf steht die Uhr in Straubing, einen Monat später in Salzburg.
– 1892 Wien im Januar, Pressburg /Bratislava im Mai, Budapest im Juni.
– 1899 Brüssel, Passage du Nord, September bis Dezember
– 1901 München, neu gebaute Liebfrauenpassage, Januar bis mindestens Mai
– 1903 Dresden (Okt-Jan), 1904 Leipzig (Jan-März), Hannover (März-Mai)
– 1905 und 1907 bereist er die Niederlande, Rotterdam, Utrecht. In Appeldorn und Middelburg steht er auf Jahrmärkten.
– 1905 Bukarest (Juli). Hier erhält er die Referenz von König Carol von Rumänien.
– 1922 Villingen (April), Rotterdam, Utrecht u.a. Städte in NL (Okt-Nov)
– 1924 Amsterdam (Feb)
In Villingen baute die Familie 1895 ein Haus. Dort hielten sich das Ehepaar und seine zwei Kinder wohl auch länger auf:
Im Februar 1897 stellte August Noll eine zweite Uhr fertig. Sie war deutlich größer als die heute erhaltene, doch ihre Anzeigen waren weitgehend die gleichen. Den Erdglobus hatte Noll um ein Tellurium ergänzt, also ein beleuchtetes Sonne-Mond-Erde-Modell. Fortan reiste er mit dieser Uhr, wie die Info-Hefte zeigen. Sie protzen mit vier, fünf und später sieben Jahren Bauzeit.
Diese zweite Uhr könnte Noll demnach vier Jahre zuvor, also 1893, begonnen haben. Am 1. April des Jahres war in Deutschland die Standardzeit eingeführt worden, sie wurde schnell Alltag. Vielleicht war dies Anlass für Noll, sein Schauprogramm zu modernisieren. Denn im Vergleich der beiden Uhren wird klar: Der größte Unterschied zur erhaltenen (älteren) Uhr im Museum ist, dass die Weltzeit nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern buchstäblich an den Rand gewandert ist.
In welcher Umgebung stellte August Noll seine Uhr aus?
Gerade in Großstädten bewies Noll ein gutes Händchen für zentrale Standorte mit großem Publikum: In München stand er über Eck beim Hofbräuhaus, im Parterre der Zentralsäle, später auch am Marienplatz im Onuphriushaus. Schulklassen gehörten zum festen Publikum an solchen Standorten. Gleichzeitig füllten auch fest installierte Volksfeste regelmäßig seinen Kalender (Dult Regensburg/GrooteMarkt verschiedener Städte in NL). In Brüssel 1899 gastierte er in der Passage du Nord, noch heute eine gute Einkaufsadresse des Fin du Siècle. Anlässlich des Brüsseler Aufenthalts erschien ein Artikel im renommierten Horological Journal , mit ausführlicher Beschreibung der Uhr. Ein wohlgeplanter Schritt: Im Artikel kündigte Noll an, seine Kunstuhr in Paris auf der Weltausstellung 1900 auszustellen, um sie anschließend zu verkaufen.
Doch es kam anders: Im Katalog der Weltausstellung 1900 ist sein Name nicht verzeichnet. Und in den Jahren danach tourte er noch immer mit der großen Uhr durch Europa.
In diesen Jahren liefen die Geschäfte nicht mehr gut: Die große Zeit der Schau-Uhren war vorbei, das erklärungsbedürftige Thema der Weltzeit, das vielen Schau-Uhren Auftrieb gab, war “durch”. Auch der Blick des Publikums weitete sich, und moderne Attraktionen wie das Kino hielten Einzug.
“So will ich Euch den Vorschlag machen, in Eurem Hause meine alte Kunstuhr …aufzustellen” schreibt Noll aus Leipzig im April 1904 an seinen Schwager, denn „es ging sehr schwach, so dass ich gerade auf meine Kosten und mit heiler Haut davon kam“. Therese und August Noll sind das Reisen leid. Die Uhr soll verkauft oder, vielleicht auch in Villingen, dauerhaft ausgestellt werden. Er möchte sich jedoch umorientieren. Daher überlegt er auch, die “alte Kunstuhr” (die heute im Museum steht) seinem Schwager Mohl zur ständigen Ausstellung in Bayern oder in Tirol zu überlassen. Nicht zuletzt deswegen besucht Noll 1904 eine Kunstuhr in Goslar, die seit 1866 ortsfest neben einem Wohnhaus ausgestellt war: Diese „primitive kleine Uhr mit zirka 8-10 Figürchen“ habe dem Erbauer ein „ganz nettes Vermögen zusammen gebracht, man sagt von 30-40 Tausend Mark“, schreibt er hoffnungsvoll. Spannend: Diese Uhr, gebaut von Georg Wecken, ist heute auch im Deutschen Uhrenmuseum ausgestellt.
“Wenn wir die Uhr verkaufen könnten…”
Den Absprung in einen anderen Beruf hat August Noll nicht gefunden, offenbar fand sich trotz langer Bemühungen kein Käufer für die Uhr.
Dennoch: Den Spagat zwischen technischem Meisterwerk an guten Adressen und Unterhaltung auf großen Volksfesten schafften die Nolls, zwar mit wechselndem Erfolg, aber über Jahrzehnte hinweg.
Ein Haus in Villingen konnten sie bauen, doch für den Schuldzins hieß es: The Show must go on!