Am 9. November jährt sich zum dreißigsten Mal der Mauerfall. Die Bilder von freiheitsuchenden Menschen, die an diesem Novemberabend des Jahres 1989 über die Grenze zwischen DDR und BRD strömten, hat sich als emotionale Zäsur in das allgemeine Gedächtnis Deutschlands eingegraben. Jahre zuvor waren solche Bilder aber noch unvorstellbar. Eine Uhr der 1970er Jahre verrät uns mehr dazu.
Heute ist die deutsch-deutsche Grenze im Allgemeinen und die Berliner Mauer im Besonderen ein Symbol für die Unterdrückung der Bevölkerung in Ostdeutschland und den Versuch einer autoritären Regierung, ein ganzes Volk in seinem Land einzusperren.
Die offizielle Lesart dieser Grenze in der DDR war naturgegeben eine andere. Schon seit den 1950er Jahren war die Grenze zwischen Osten und Westen weitestgehend durch Grenzanlagen gesichert. Mit der Berliner Mauer wurde 1961 die letzte Lücke geschlossen. Als „Antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet, sollte sie angeblich Gefahren für den Staat, die Bevölkerung und den Sozialismus fernhalten. Doch ihre Errichtung hatte in erster Linie den Zweck, die massenhafte Auswanderung nach Westdeutschland zu unterbinden. Dass dabei Familien für Jahrzehnte auseinandergerissen wurden und Menschen bei der Flucht ihr Leben verloren, wurde von der Staatsführung billigend in Kauf genommen.
Diese Uhr aus dem VEB Uhrenwerk Weimar stammt wohl aus der zweiten Hälfte der 1970er Jahre und wurde vom Verbandskommandeur vermutlich als Erinnerung an den Dienst bei den Grenztruppen überreicht. Diese Soldaten waren eine der wenigen Gruppen in der DDR, die die Grenze überhaupt zu Gesicht bekamen. Die meisten Menschen wohnten weit entfernt, wurden zum Teil umgesiedelt und so weit wie möglich vom Sperrgebiet ferngehalten. Schon in dessen Nähe zu kommen war verboten.
Hier ist die Grenze jedoch geradezu verharmlosend dargestellt. Der Wachturm im Hintergrund, der Grenzstein im Vordergrund und die ruhige Patrouille suggerieren eine friedliche Normalität. Der Grenzzaun selbst ist gar nicht abgebildet. Von Minen, Selbstschussanlagen oder Wachhunden keine Spur. Man könnte sich angesichts dieses Motivs beinahe fragen: Welche Grenze? Mit diesem Bild wird die harte Realität ästhetisch aufgeweicht und die Uhr mit der Erinnerung an die Zeit beim Militär konnte das heimische Wohnzimmer schmücken.
Wenn dieses Jahr das 30. Jubiläum des Mauerfalls begangen wird, jener Erfolg des friedlichen, andauernden zivilen Protestes gegen die Unterdrückung der Freiheit, dann werden manche dennoch wieder sagen: „Es war nicht alles schlecht.“ Dem kann man mit Blick auf solche Erinnerungsstücke vielleicht nur entgegenhalten: „Es war auch nicht alles gut.“ Die Familien, die sich nach langer Trennung wieder ohne Kontrollen und Grenzübertritte besuchen konnten, würden dem sicher zustimmen.
Ein Kommentar zu „Wo ist die Grenze?“