Zwei junge Uhrmacher eröffnen eine eigene Werkstatt und reparieren Uhren. Klingt nur nach einem Schritt auf der Karriereleiter? In diesem Fall steckt viel mehr dahinter. Denn dieses Wagnis findet nicht irgendwo statt – und auch die Uhren sind nicht irgendwelche.
Unter den etwa 20 freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Deutschen Uhrenmuseum gibt es immer wieder Uhrmacherschüler der Robert-Gerwig-Schule in Furtwangen. Zwei von ihnen, Oliver Hambel und Joshua Becker, haben ihre Ausbildung in diesem Jahr abgeschlossen. Gleich darauf haben sie ein neues berufliches Projekt in Angriff genommen: Sie eröffnen eine eigene Uhrmacherwerkstatt.
Doch es wird kein typisches Uhrengeschäft in irgendeiner Innenstadt sein. Für ihre Werkstatt haben sie einen ganz besonderen Ort gefunden: Ihr Arbeitsplatz wird im Hessenpark bei Neu-Anspach stehen. In diesem Freilichtmuseum wird historische Bau-, Wohn- und Arbeitskultur aus Hessen anhand von Originalbauten gezeigt. Einen wichtigen Teil der Museumsarbeit nehmen die Handwerker vor Ort ein. Diese geben beispielsweise mit Kursangeboten oder an Aktionstagen einen Einblick in ihre Arbeitstechniken. Oliver Hambel schreibt für uns, wie er und Joshua Becker dieses Projekt auf den Weg gebracht haben.
„Ich bin durch das Seminarangebot auf die Hessische Uhrmacherschule aufmerksam geworden. Das ist keine staatliche Schule, sondern eine Art Privatschule die von einem gemeinnützigen Verein als Träger und ehrenamtlichen Helfern organisiert wird.
Die Hessische Uhrmacherschule stand Ende der 1990er Jahre aufgrund sinkender Schülerzahlen kurz vor dem Aus. Bis dato war sie in einem Berufsschulzentrum in Frankfurt am Main untergebracht. Doch die stagnierenden Schülerzahlen rechtfertigten keine weitere Bereitstellung der Räumlichkeiten mehr. Einige engagierte Lehrer und ehemalige Schüler retteten das Inventar und überführten die Uhrmacherschule 2004 in den Hessenpark. Die Uhrmacherschule ist hier am Marktplatz in einem historischen Fachwerkgebäude aus dem 18. Jahrhundert untergebracht.
Jedenfalls interessierte ich mich für ein Seminar zur Uhrmacherdrehmaschine, da dies im ersten Lehrjahr meiner Ausbildung leider etwas zu kurz gekommen ist. Im Anschluss an das Seminar sprach ich mit dem Organisator der Seminare. Er hatte erwähnt, dass ständig Leute gesucht werden, die irgendwas können und dies anderen zeigen möchten.
Ich bot an, ein Seminar zum Schleifen von Drehmeißeln für die Uhrmacherdrehmaschine anzubieten. Man war von meiner Idee begeistert und kurze Zeit später hielt ich das Seminar erfolgreich ab.
So kam ich in näheren Kontakt mit der Hessischen Uhrmacherschule. Mein nächstes Seminar sollte etwas umfangreicher werden, sodass ich Joshua um Mithilfe bat. Zusammen führten wir weitere Seminare, parallel zu unserer Ausbildung in Furtwangen, durch. Joshua und ich waren bereits während unserer Ausbildung ein eingespieltes Team, nebenbei bauten wir in einer im Wohnzimmer eingerichteten Werkstatt die alte Furtwanger Schuluhr nach.
Kurz vor unserer Gesellenprüfung kamen dann die Verantwortlichen der Hessischen Uhrmacherschule auf uns zu: Es gäbe im Hessenpark bereits einige selbstständige Handwerker (Goldschmied, Bürstenmacher, Bäcker), doch ein Uhrmacher würde noch in der Sammlung fehlen. Also wurde uns angeboten, einen Raum im Gebäude der Hessischen Uhrmacherschule zu mieten, um dort eine Uhrmacherwerkstatt zu eröffnen.”
Was steht derzeit an?
“Der Raum, den man uns zur Verfügung stellt, fungierte bislang als Abstellraum und präsentierte sich in dementsprechendem Zustand. Im Moment sind wir am Renovieren und in Kürze auch am Einrichten des Ladengeschäfts. Obwohl wir noch gar nicht richtig eingerichtet sind und alles noch nicht richtig angelaufen ist, haben wir bereits die ersten Werkstattaufträge erledigt. Ein lokaler Juwelier hat uns entdeckt und bringt uns Großuhrenaufträge zu Reparatur und Revision. Aber auch die ersten Besucher des Hessenparks haben unsere Werkstatt entdeckt und drohen mit Aufträgen.”
Welche Tätigkeiten sind in Zukunft geplant?
“Wir wollen unsere Seminartätigkeit möglichst schnell wieder aufnehmen und Kurse rund um die Uhrmacherei für interessierte Laien anbieten. Unser Angebot stellt ein Novum in der Seminarlandschaft dar. Es gibt zwar viele Anbieter von Seminaren, diese bestehen jedoch meist nur aus Zerlegen und Reinigen einer Armbanduhr. Wir möchten jedoch tiefer in die Materie gehen und uns Fachthemen wie der Großuhrtechnik, dem Umgang mit der Uhrmacherdrehmaschine und der Anfertigung von Uhrenteilen und Werkzeugen widmen. Dabei arbeiten wir eng mit der Hessischen Uhrmacherschule zusammen, deren Lehrwerkstätten und Maschinenausstattung uns für unsere Seminare zur Verfügung stehen.
Daneben ist die Einrichtung eines Ladengeschäfts geplant. Wir wollen jedoch keine “Imitation eines Dorfjuweliers” sein, sondern eine Fachwerkstatt für Großuhren mit Schwerpunkt auf historischen Zeitmessern. Der Schwerpunkt auf Großuhren ist bewusst gewählt. Während teure Schweizer Luxusmarken kaum Begeisterung bei uns auslösen, widmen wir uns mit umso größerer Begeisterung den Großuhren, also jedem Zeitmesser, den man nicht am Körper trägt. Nicht zuletzt trug unsere Arbeit im Deutschen Uhrenmuseum, parallel zu unserer Ausbildung, dazu bei, unser Wissen um die Großuhren zu erweitern und unsere Begeisterung für diese Uhren zu bestärken.”
Wir wünschen Oliver Hambel und Joshua Becker für ihre gemeinsame Werkstatt alles erdenklich Gute, viel Erfolg und viele schöne Jahre, in denen sie sich ihrer Leidenschaft widmen können.