Zeit für Seefahrer!

Marinechronometer von John Arnold, um 1783 (Gehäuse später), Inv. 2012-031

„Wie spät ist es?“ Auf See war diese Frage nicht immer leicht zu beantworten. Bis zur Entwicklung seetüchtiger, präziser Uhren konnten sich europäische Navigatoren manches Mal irren – mit zum Teil fatalen Auswirkungen. Aber warum brauchten Navigatoren früher überhaupt eine Uhr? Und was war so schwierig daran, eine Uhr für ein Schiff zu bauen?

 

Werk der Arnold-Uhr von 1783 – das vierte, jemals gebaute Seechronometer mit Gangfeder, Inv. 2012-031.

Dies ist ein Beitrag zur Blogparade Europa und das Meer des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Nicht nur das: Zur gleichnamigen Sonderausstellung steuert das Deutsche Uhrenmuseum Furtwangen einige Uhren als Leihgabe bei, darunter auch ein frühes Marinechronometer von John Arnold.

 

 

Das „Längenproblem“…

Während der geographische Breitengrad schon lange auch auf See recht gut bestimmbar war (auf der Nordhalbkugel zum Beispiel mit dem Polarstern), gab es bis ins 18. Jahrhundert noch keine zuverlässige Methode, um den Längengrad hinreichend genau zu bestimmen.

Schiffsunglück bei den Scilly-Inseln, 1707

Dies führte immer wieder zu Schiffskatastrophen: 1707 fuhr eine Flotte von 21 englischen Schiffen durch eine Fehleinschätzung der Navigatoren bei den Scilly-Inseln auf Riffe und riss rund 2000 Soldaten und Seeleute mit sich in den Untergang.

1714 setzte das britische Parlament eine Belohnung von damals sagenhaften 20.000 Pfund für eine Lösung dieses fundamentalen Problems der Seefahrt aus.

 

…und seine Lösung

Der Längengrad lässt sich gut berechnen, wenn man die aktuelle Ortszeit auf See mit einer Referenzzeit, zum Beispiel am Startort der Reise, vergleicht. Doch woher sollte man mitten im Atlantik im 18. Jahrhundert wissen, wie spät es gerade in London, Hamburg oder Cadíz ist? Schließlich gab es noch keine Möglichkeit, die Zeit zu übermitteln. Man hätte die Uhrzeit des Ortes schon mitnehmen müssen – am besten mit einer präzisen Uhr. Allerdings reagieren mechanische Uhren empfindlich auf äußere Einflüsse. Vor allem die ständigen Schwankungen der Temperatur und der Seegang störten den gleichmäßigen Gang des Uhrwerks. Eine Präzisionsuhr musste her, die auch den widrigen Bedingungen auf See gewachsen war – ein Marinechronometer.

 

 

John Harrison – Pionier der präzisen Zeitmessung auf See

John Harrison (1693-1776). Im Vordergrund die oberen Teile des ersten,  sehr voluminösen Seechronometers H1. In der rechten Hand wohl die H4, das erste Schiffschronometer im Volumen einer größeren Taschenuhr.

Während Wissenschaftler in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch auf die Verbesserung astronomischer Methoden zur Bestimmung des Längengrades setzten, wurde das Längenproblem von einem Autodidakten gelöst. Der Engländer John Harrison hatte bereits seit einigen Jahren Verbesserungen für die Präzision von Pendeluhren entwickelt, als er sich in den 1720er und 1730er Jahren auf die Konstruktion von Uhren für die Seefahrt verlegte. Bis 1759 baute er nacheinander vier, jeweils verbesserte Modelle für Schiffsuhren – die letzte mit einer Abweichung von weniger als einer Minute nach einer wochenlangen Überfahrt von England nach Jamaika. Für damalige Verhältnisse und unter den gegebenen Umständen einer Seereise eine überragend präzise Uhr.

Die europäische Dimension

Die Biographie von John Harrison enthält alle Teile, um eine spannende Geschichte zu erzählen: Der Erfinder mit seiner neuartigen Idee, ihm gegenüber eine stark von sich selbst eingenommene Wissenschaftselite, die ihm die Anerkennung verweigern will, und ein langer Kampf um die Auszahlung des Preisgeldes. Zudem spielt die Geschichte in der “Seefahrer-Nation” Großbritannien mit ihren berühmten Persönlichkeiten wie James Cook, der zwischen 1772 und 1775 eine Kopie von Harrisons Uhr erfolgreich erprobte.

Doch wenn man die Geschichte zu sehr auf eine Person zuspitzt, gehen entscheidende Anteile anderer Zeitgenossen bei der Konstruktion der Marinechronometer verloren. Denn die Lösung des Längengradproblems war für ganz Europa wichtig.

Ferdinand Berthoud (1727-1807). Seine linke Hand berührt ein Marinechronometer mit kardanischer Aufhängung. Im Hintergrund ein Ofen zur Überprüfung des Temperatur-ausgleichs bei Pendel oder Unruh.

Zeitgleich mit Harrison versuchten sich mehrere Uhrmacher an einer Lösung, insbesondere in Frankreich, dem großen Konkurrenten um die Herrschaft über die Meere. In Paris legten Pierre Le Roy (1717-1785) und Ferdinand Berthoud (1725-1807) kurz nach Harrison brauchbare Seechronometer vor. Und sie entwickelten elementare Bauteile, die sich in fast allen späteren Schiffsuhren wiederfinden, wie die kardanische Aufhängung der Uhr oder den Temperaturausgleich für die Unruhe.

Schließlich brachten Uhrmacher wie John Arnold (1736-1799) in England oder Abraham Louis Breguet (1747-1823) in Frankreich die Präzisionszeitmesser für die Schifffahrt zur Serienreife. Mit diesen Spitzenprodukten der Feinmechanik war ein Kernproblem der Hochsee-Navigation gelöst. Die Vorherrschaft auf den Meeren war allerdings nicht entschieden.

Typisches Marinechronometer mit Präzisionsuhrwerk und kardanischer Aufhängung, bez. Henry Frodsham No. 2095, Liverpool, um 1840 (Inv. 44-2480)

Zum Nachlesen:

Jean Randier: Nautische Instrumente. Deutsche Ausgabe, Oldenburg und München 1979.

Estelle Fallet: La mesure du temps et les horlogers suisses, La-Chaux-de-Fonds 1995.

William J. H. Andrews (Hrsg.): The quest for longitude, Cambridge/Massachusetts 1996.

Rupert T. Gould: The marine chronometer. Its history and development (Neuausgabe des Originals von 1923), Woodbrigde/England 2013.

 

Entdecken Sie unsere Sammlung Marinechronometer bei museum-digital.de!

Auch das Technoseum in Mannheim hat Blog-Beiträge (hier und hier) zu  Marinechronometern verfasst – unbedingt lesenswert!

12 Kommentare zu „Zeit für Seefahrer!

  1. So schöön! Vielen Dank für diesen tollen Beitrag zu #DHMMeer. Viel lernte ich darüber und tatsächlich ist der Seechronometer eine europäische Geschichte – das freut mich sehr!

    Es ist unglaublich, wie facettenreich sich die Blogparade entwickelte. Mittlerweile gibt es 43 Artikel dazu mit ganz unterschiedlichen Perspektiven. Werde gleich noch einen über Kreuzfahrtblogger lesen, der gestern einging.

    Noch 10 Tage läuft die Blogparade. Bis dahin passiert noch viel. Großartig ist, dass auch ihr an der Idee mitgeschrieben habt – merci!

    Herzlich
    Tanja von KULTUR – MUSEUM – TALK

    1. Vielen Dank für die motivierenden Worte! Wir nutzen solche Anlässe gerne um zu zeigen, dass Uhren eben nicht nur Technik sind, sondern viele verschiedene Anknüpfungspunkte an die Geschichte haben. Und wenn wir den Menschen, die unsere Artikel lesen oder uns vor Ort besuchen etwas neues, interessantes, spannendes zeigen können – umso besser!

      Das Meer schafft unglaublich viele Assoziationen, je nach Blickwinkel. Damit hat sich das DHM wirklich ein fruchtbares Thema ausgesucht. Literatur, Alltagserfahrung, Urlaub, Politik, Umwelt… vermutlich kann jeder aus seiner Sicht etwas dazu schreiben. Und alle Beiträge haben auf ihre Weise Relevanz, weil sie eben gemeinsam die Vielfalt des Themas zeigen.

      Herzliche Grüße,
      Das Deutsche Uhrenmuseum

  2. Vielen Dank für diesen spannenden Beitrag, der wirklich prima zu unserem Artikel passt :).
    Besonders der historische Abriss gefällt uns sehr gut!
    Wir haben den Beitrag des Uhrenmuseums nun auch bei uns auf dem Blog und auf der Homepage verlinkt.

    Viele Grüße aus dem TECHNOSEUM

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