Hätten Sie es gewusst? Seit genau 125 Jahren richten sich die Uhren in Deutschland nach Mitteleuropäischer Zeit. Am 1. April 1893 wurde sie per Reichsgesetz eingeführt.
Was unsere Zeitordnung mit der Eisenbahn zu tun hat, lesen Sie hier.
Ein tödlicher Fehler
Als die ersten Eisenbahnen verkehrten, hatte jeder Ort seine eigene Zeit. Sie richtete sich nach dem Sonnenstand auf der jeweiligen geographischen Länge.
Die Vielzahl an Ortszeiten konnte fatale Folgen haben, wenn man mit dem neuen schnellen Verkehrsmittel Eisenbahn unterwegs war. So geschehen am 12. August 1853: Die Taschenuhr eines Zugführers zeigte die falsche Zeit an. Deshalb stießen in Virginia Falls (USA) zwei Züge zusammen. 13 Menschen starben.
Um solche Unfälle zu vermeiden, führten die Bahngesellschaften präzise Dienstuhren ein und zusätzlich Einheitszeiten, die entlang der Bahnlinien galten. Die Eisenbahnzeiten orientierten sich in der Regel an der Ortszeit in den Hauptstädten.
Wirrwarr der Eisenbahnzeiten
Die neuen Eisenbahnzeiten führte an den Grenzbahnhöfen zu einiger Verwirrung. So zeigte der Uhrenturm in Genf bis 1886 drei verschiedene Zeiten: französische und schweizerische Eisenbahnzeit (Pariser und Berner Ortszeit) sowie Genfer Ortszeit.
Besonders im kleinräumigen Europa war dieser erste Schritt zur Vereinheitlichung der Zeiten noch unbefriedigend. Berühmt-berüchtigt war die Situation am Bodensee mit seinen fünf Anrainerstaaten: Um 1880 galt im Großherzogtum Baden Karlsruher Zeit, in Königreich Württemberg Stuttgarter Zeit, im Königreich Bayern Münchner Zeit, im westlichen Teil Österreich-Ungarns Wiener Zeit und in der Schweiz Berner Zeit.
Orientierung in diesem Durcheinander versprach ein System aus 24 weltweiten Zonenzeiten, das 1884 auf einer Konferenz in Washington den Staaten zur Einführung empfohlen worden war. Jede Zeitzone mit 15 Längengraden sollte sich von der benachbarten um genau eine Stunde unterscheiden.
Deutschland diskutiert über die Zonenzeit
Um 1890 stritten Politiker und Fachleute heftig über die Frage, ob sich Deutschland dem Zonenzeitsystem anschließen solle.
Konservative lehnten die Einführung der Mitteleuropäischen Zeit ab. Sie wollten die Ortszeiten im Alltag beibehalten. Andernfalls müssten die Kinder im Winter im äußersten Westen des Kaiserreiches den Schulweg in tiefster Dunkelheit antreten.
Wissenschaftler gaben zu bedenken: Erdbeben und Wetter sowie Reise- und Nachrichtenverkehr machen nicht an den Grenzen der Mitteleuropäischen Zeit halt. Besser sei eine einzige Weltzeit.
Der Berliner Astronom Wilhelm Förster setzte sich für einen Kompromiss ein. Er empfahl, die bewährten Ortszeiten im Alltag beizubehalten. Für Verkehr und Wissenschaft aber sollte eine einzige Weltzeit gelten. Uhren würden in Zukunft diese zwei Zeiten zeigen.
Eine solche Taschenuhr für Orts- und Weltzeit gab es bereits. Doch Ludwig Hoffmann baute nur einen einzigen Prototyp. Denn auf Drängen des Militärs und der Eisenbahn beschloss der Reichstag die Einführung der Mitteleuropäischen Zeit.
Brauchen wir ein neues Zeitsystem?
Warum sind im Zeitalter der Globalisierung die 24 Zeitzonen nicht längst abgeschafft? Eine Antwort darauf gab Otto Bähr bereits 1891 in der Zeitschrift Die Grenzboten: “Die Zonenzeit verbindet Weltzeit und Ortszeit miteinander: Für die Stundenzahl schließt sie sich der Ortszeit an, für die Minutenzeit ist sie Weltzeit.“
Was meint er damit? Die Zeitzonen unterscheiden sich voneinander jeweils um eine ganze Stunde. Die Aufteilung der Erde in 24 solcher Stundenzonen bewirkt, dass die Sonne ungefähr um 12 Uhr mittags im Zenit steht – und das weltweit. Somit leben wir alle in einer vertrauten “Ortszeit”.
Die Minuten und Sekunden dagegen laufen weltweit im Gleichtakt – egal in welcher Zeitzone man sich gerade befindet. Durch einfaches Hinzufügen oder Abziehen einer bestimmten Zahl von Stunden kann UTC ermittelt werden. Diese Weltzeit ist verbindlich für zahlreiche Anwendungen, die nicht an den Grenzen halt machen: sei es Internet oder Flugverkehr. Die Zonenzeiten erfüllen folglich ebenso die Forderung der Wissenschaft und Technik nach einer einheitlichen “Weltzeit”.
siehe auch:
Das ABC der Zeit. Eine Weltzeituhr nach Sandford Fleming
Die Erfindung der Weltzeit (auf der Website des Deutschen Uhrenmuseums)