Zwei Pendel für eine Messung

Dieses Gerät sieht auf den ersten Blick nicht wie eine Uhr aus, doch ohne Uhrwerk würde es nicht funktionieren. Es soll auch nicht über die Tageszeit Auskunft geben, sondern über den Stromverbrauch. Dahinter steckt die Geschichte eines vielseitigen Erfinders und seiner damals äußerst erfolgreichen Firma.

Als immer mehr Städte zum Ende des 19. Jahrhunderts elektrifiziert wurden, musste die von den Haushalten genutzte Energie natürlich auch erfasst und abgerechnet werden. Nun waren Geräte gefragt, die den Stromverbrauch registrieren konnten. Hermann Aron (1845-1913), Physikdozent in Berlin, mit einem großen Interesse für die damals neue Elektrotechnik, erkannte diesen Bedarf. In mehrjähriger Arbeit entwickelte er einen zuverlässigen Stromzähler, genau zu der Zeit, als ein solches Produkt benötigt wurde. So verließ er den Universitätsbetrieb, um sein eigenes Unternehmen aufzubauen.

Doppelpendel-Stromzähler der Aron Elektricitätsgesellschaft, hergestellt 1891 in Charlottenburg bei Berlin (damals noch nicht eingemeindet).
Im Inneren des Gehäuses angebrachte Etiketten verweisen auf die Herkunft des Apparates.

Die Aron-Werke wurden bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts die erfolgreichste deutsche Firma für Stromzähler, mit Niederlassungen in London, Paris, Budapest und Wien sowie einem großen Werk in Schweidnitz/Schlesien. Das hier vorgestellte Objekt ist ein sogenannter Doppelpendelzähler, der 1891 hergestellt wurde. Wir konnten ihn im Jahre 2019 bei einer Auktion erwerben.

 

 

 

Warum Doppelpendel?

Wird ein mechanisches Uhrwerk von äußeren Bedingungen, z.B. Temperatur oder Erschütterungen beeinflusst, läuft es unterschiedlich schnell. Normalerweise ist ein solcher Effekt unerwünscht, denn Uhren sollen ja gleichmäßig laufen. Hermann Aron kam aber auf die Idee, dieses Phänomen bewusst auszunutzen, indem er einen Elektromagneten als gezielte “Störung” einsetzte. Dieser Magnet beschleunigte das Pendel eines Uhrwerkes – allerdings nur, solange elektrischer Strom hindurchfloss. Für die Abrechnung konnte die beschleunigte Anzeige abgelesen und mit der normalen Zeit vergleichen werden. Aus der Differenz wurde dann errechnet, wie viel Elektrizität durch den Stromzähler geflossen, also im betreffenden Haushalt genutzt worden war.

Die dunkle Spule ist der Elektromagnet des Doppelpendelzählers, darüber befindet sich das magnetische Pendelgewicht.

Auf diesem Prinzip basierte schon der sogenannte “Langpendelzähler”, der seit etwa 1883 hergestellt wurde. Die Ablesung war aber noch etwas undurchsichtig und nur Fachleuten zugänglich. Deshalb verbesserte Hermann Aron sein Gerät, indem er ein weiteres Uhrwerk hinzufügte. Dieses war mit dem eigentlichen Stromzähler verbunden. Die beiden Pendel schwangen synchron, solange kein Strom durch den Elektromagneten floss. Wenn sich die beiden Pendel aber bedingt durch den elektrischen Strom unterschiedlich schnell bewegten, wurden über ein Differenzialgetriebe die Zeiger in Bewegung gesetzt, die die genutzte Energie direkt anzeigten.

Von den Aron-Werken zu Heliowatt

Bis zum Ersten Weltkrieg entwickelten sich die Aron-Werke zum führenden deutschen Unternehmen für Stromzähler. Hermann Arons Sohn Manfred führte die Firma ab 1912 erfolgreich weiter und erweiterte die Produktion ab 1925 um die Herstellung von Radios unter der Marke “Nora”. Wegen seiner jüdischen Herkunft wurde Manfred Aron ab 1933 jedoch durch die NS-Herrschaft Repressionen und Schikanen ausgesetzt. Die Firma wurde in “Heliowatt” umbenannt, Manfred Aron verkaufte unter Zwang seine Firmenanteile 1935 unter Wert an die Deutsche Bank und floh über London in die USA.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Heliowatt wiederaufgebaut und stellte noch bis 1996 Stromzähler her. Dabei ging die Firma durchaus mit der Zeit. Ab den 1980er Jahren verbaute sie zunehmend Mikroelektronik. Doch über hundert Jahre nach der Firmengründung durch Hermann Aron war das Geschäft in Deutschland nicht mehr rentabel und Heliowatt schloss seine Tore.

 

Zum Weiterlesen:

Thomas Schraven: Hermann Aron (1845-1913), Chronometrophilia 60 (2006), S. 67ff. und ders.: Die Aronwerke (Teil 2), Chronometrophilia 69 (2011), S. 49ff.

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