Mit Gaslaternen ins 21. Jahrhundert?

Weltzeituhr der Firma Lenzing Technik, Lenzing, Ende 1960er Jahre.

Ende der 1960er Jahre produzierte die österreichische Firma Chemiefaser Lenzing AG eine Weltzeituhr. Als Uhrwerk wurden Schaltuhren der früheren Wiener Gaslaternen verwendet. Doch was brachte einen Faserproduzenten dazu, Uhren zu bauen? Und warum wurden diese speziellen Uhrwerke eingebaut?

 

 

Vom Traditionsunternehmen zum Global Player

Eine Mitarbeiterin der Chemiefaser Lenzing AG bei der Arbeit (Copyright: Lenzing AG).

Mitte des 20. Jahrhunderts standen die Zeiger auf Wirtschaftswachstum. Auch die Chemiefaser Lenzing AG wollte ein Global Player werden. Gleichzeitig war es dem Unternehmen wichtig, seine lange Tradition zu betonen.

Somit entwarf die Lenzing Technik, eine Tochter der Chemiefaser Lenzing AG, ein sinniges Werbegeschenk für ihre Geschäftsfreunde, das beide Elemente beinhaltete: Moderne Tischuhren mit Weltzeitanzeige wurden mit alten Uhrwerken aus Wiener Gaslaternen ausgerüstet. Somit waren Tradition und Zukunftsvision vereint. Die Unternehmensstrategie ging auf. Heute gehört die Lenzing Gruppe zu den führenden Anbietern von Zellstofffasern.

Die Schaltuhren der Wiener Gaslaternen

Rückseite der Weltzeituhr.

Ein kleiner Text auf der Rückseite des Ziffernblatts erklärt die Besonderheit der eingebauten Uhrwerke: „Das Werk dieser Weltzeituhr stammt aus einer Wiener Gaslaterne und hatte durch Jahrzehnte die Aufgabe, als Schaltuhr bei Einbruch der Dämmerung die Laterne anzuzünden und beim Morgengrauen wieder zu löschen.“

Solche automatischen Zünd- und Löschuhren waren in den Wiener Gasstraßenleuchten seit 1912 im Einsatz. Zuvor mussten Laternenwärter alle Straßenlampen an- und ausschalten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Schaltuhren eine zeit- und geldsparende Neuerung.

Schon ein paar Jahre später begann in Wien langsam die Umrüstung der Laternen auf elektrischen Betrieb. Bis 1964 wurden alle Straßenleuchten ausgetauscht. Damit waren auch die bisher verwendeten Uhrwerke überflüssig geworden.

Nostalgie – nicht nur Ende der 1960er Jahre

Mancherorts brannten Gaslaternen auch noch im 21. Jahrhundert, hier in Dresden 2004.

Der Text auf unserer Uhr erklärt dazu: „Heute ist die Gaslaterne aus dem Stadtbild verschwunden; im Jahre 1963 wurde die letzte Gaslaterne feierlich gelöscht. Aber die Erinnerung an die Wiener Gaslaterne mit ihrer Romantik und dem Zauber einer vergangenen Zeit lebt in vielen Liedern, in der Literatur und im Wiener Humor weiter.“

Allein, dass die letzte Gaslaterne „feierlich gelöscht“ wurde, zeigt uns: Auch wenn modernere Straßenbeleuchtungen begrüßt und vermeintlich rückständige Technik abgebaut wurde – so ganz ohne Wehmut wollte man sich doch nicht von der Vergangenheit verabschieden. Zumindest ein bisschen vom „Zauber der vergangenen Zeit“ sollte bewahrt werden.

An dieser Stelle möchten wir uns bei der Lenzing Gruppe für die freundliche Unterstützung bei unserer Recherche bedanken.

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