Das Bahnhäusle – ein Jahrhundertdesign aus Furtwangen (Teil 1)

Wussten Sie, dass das geschnitzte Häuschen mit dem Kuckuck am Ort des Deutschen Uhrenmuseums erfunden wurde? Dass der „Uhr-Ahn“ des typischen Schwarzwaldsouvenirs ein Bahnwärterhäuschen war? Und dass die Kuckucksuhr um 1850 als hochmoderne Uhr galt?

 

 

Am Anfang stand ein Aufruf

1850 war der junge Ingenieur Robert Gerwig (1820-1885) zum Gründungsdirektor der Großherzoglich Badischen Uhrenmacherschule in Furtwangen bestimmt worden. Er hatte hochfliegende Pläne zur Förderung des kriselnden Schwarzwälder Uhrengewerbes. Im September 1850 veröffentlichte Gerwig einen „Aufruf an die vaterländischen Künstler und Kunstfreunde“. Graphiker, Künstler und Architekten sollten Uhrenkästen und Schilder entwerfen, um den kleingewerblichen Produkten ein professionelles Aussehen zu verleihen. Damit sollte die Konkurrenzfähigkeit gegenüber den ersten Uhrenfabriken gestärkt werden.

Friedrich Eisenlohr, Architekt und Designer der klassischen Kuckucksuhr

Aus den eingesandten Vorschlägen ragte ein Entwurf von Friedrich Eisenlohr (1804-1852) heraus. Eisenlohr war als Architekt für viele Bauten entlang der ersten badischen Staatseisenbahn verantwortlich. Er nahm die Fassade eines Bahnwärterhäuschens und versah sie mit einem Zifferblatt. Seine „Wanduhr mit in Epheu-Laubwerk verziertem Schild“ sollte zum Vorbild der heute noch als Souvenir beliebten Kuckucksuhr werden.

Eisenlohrs Bahnhäusleuhr wurde als ausgesprochen fortschrittliches Design begrüßt. Denn sein Uhrengehäuse leitete Eisenlohr von den Bauten entlang der Eisenbahn ab, dem damaligen Motor der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung.

Die einzig bekannte Uhr nach dem Originalentwurf von Eisenlohr befindet sich heute im Deutschen Uhrenmuseum Furtwangen. Bezeichnenderweise folgten der Erbauer dieser ersten Bahnhäusleuhr in einem entscheidenden Punkt nicht Eisenlohrs Vorgabe: Der Hersteller ließ das Törchen mit dem Kuckuck weg. Denn anders als heute üblich, war die Bahnhäusle-Form noch nicht untrennbar mit dem Kuckuck verbunden. Doch ab Mitte der

Die einzige Bahnhäusleuhr nach dem Entwurf von Friedrich Eisenlohr – leider ohne Kuckuck, Furtwangen, 1850er Jahre, Höhe: 51 cm. (Inv. 2003-081)

1850er Jahre setzte ein regelrechter Boom auf diese Art Kuckucksuhr ein. So boten zahlreiche Aussteller auf der Gewerbeausstellung in Villingen 1858 Kuckucksuhren im „Bahnhäuschenkasten“ oder „Bahnwartshaus“ an.

Die Kuckucksuhr als Nischenprodukt des Schwarzwaldes hatte mit dem Bahnhäusle die ihr gemäße Form gefunden. Dabei ist es unerheblich, dass bereits vor Eisenlohr die Firma Beha in den 1840er Jahren Tischkuckucksuhren in Häuschenform verkauft hatte. Denn nicht die Tatsache ist entscheidend, dass der Kuckuck in ein Häuschen einzog,  sondern dass der Entwurf von Eisenlohr mit seinem speziellen Blick auf die bäuerliche Holzarchitektur vielen Zeitgenossen aus dem Herzen gesprochen hat.

 

Kuckucksuhr mit üppigen Schnitzereien, Schwarzwald, um 1900, Höhe: 125 cm. (Inv. 2006-015)

Hirschgeweih und Tannenzapfengewichte

Um 1860 entfernte sich das Bahnhäusle zunehmend von seiner ursprünglich strengen grafischen Form. Das Gehäuse wurde ab den 1860er Jahren mit plastischer Schnitzerei, vor allem mit Reb- und Eichenlaub sowie Tieren aus heimischen Wäldern verziert. Geschnitzte Beinzeiger sowie Gewichte in Form von Tannenzapfen durften dabei nicht fehlen. Noch heute zeichnet diese Kombination viele zünftige Kuckucksuhren aus.

Dank des Bahnhäusles entwickelte sich die Kuckucksuhr innerhalb weniger Jahre zu einem der erfolgreichsten Schwarzwälder Erzeugnisse. Im Bericht über die Ausstellung heimischer Produkte auf der Wiener Weltausstellung 1873 schreibt Karl Schott, der damalige Leiter der Furtwanger Landesgewerbehalle, „daß heute die Kuckucksuhr eine der gesuchtesten Schwarzwälder Uhren ist.“

 

Wie diese Kuckucksuhren hergestellt wurden, was sie kosteten und wohin sie verkauft wurden, lesen Sie hier in diesem Blog.

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